Sie sprechen von Heimat und meinen den Staat

6. Oktober 2017
Kategorie: Europa | Freiheit | Historisches | Machiavelli | Medien | Philosophisches | Regionalismus

Ein Schnitt geht durch das Lager der Rechten, Konservativen und Libertären, die gewöhnlich gegen das Diktum der Elite aus Medien und Politik zusammenhalten. Libertären wird vorgeworfen, sie zeigten nunmehr ihre wahre linksradikale Fratze, weil sie die Katalanen unterstützten, obwohl die Unabhängigkeitsbewegung zu nicht geringen Teilen von Sozialisten getragen wird. Der Nationalstaat müsse um jeden Preis verteidigt werden, Katalonien sei mehr oder minder eine Marionette von Katar oder ein Werkzeug der EU, um sich Europa Untertan zu machen. Auch der Name Soros kreist herum. Auch ich wurde gefragt, warum ich mich für Katalonien ausspreche, wo doch dort vor allem linke Kreise das Sagen hätten.

Nun denn! Ein paar Worte dazu. Entgegen jener Clique aus neunmalklugen Katalonienexperten, die seit zwei Wochen aus dem Boden sprießen, ist Katalonien nun mal eine Herzensangelegenheit. Ich bin nicht erst seit gestern Regionalist und habe auch nicht vor, damit morgen aufzuhören. Ich war zudem schon Regionalist, bevor ich Mises oder Hayek gelesen habe. Dazu reicht es einfach, Norditaliener zu sein. Das bedeutet aber auch, dass ich mich mit der Sache ein paar Tage länger beschäftigt habe als so manche Journalisten, die auf die Schnelle Artikel produzieren müssen, oder einige werte Meinungsbesitzer, deren Argumente ich eigentlich schon vor Jahren beantwortet habe.

Beginnen wir mit dem lächerlichsten Argument, nämlich, dass Katalonien ein Pudel der EU sei. Allein die normative Kraft des Faktischen sollte jedem vernünftigen Menschen vor Augen führen, dass das gar nicht sein kann. Spaniens Vorgehen in Katalonien, bis hin zur Polizeigewalt gegenüber Wählern (inklusive jener höchst irritierender Bilder blutender alter Frauen) wird von Brüssel gedeckt. Strategie der Spannung? Die EU hat kein Interesse am Europa der Regionen, das wissen Flamen, Lombarden, Veneter, Südtiroler, Basken, Bretonen, Bayern und besonders die Schotten seit längerem. Alles, was derzeit in Spanien passiert, ist bereits im Vereinigten Königreich geschehen. Die Scottish National Party (SNP) welche das Referendum zur Schottischen Unabhängigkeit vorantrieb, darf man nicht mit den Schotten verwechseln (ebenso wenig, wie man die Regionalisten anderer Länder mit ihrer Partei gleichsetzen darf). Schon damals machte die EU klar: wenn Schottland aus dem UK ausscheidet, dann ist es vorbei mit der EU-Mitgliedschaft. Die Diskussion darüber verprellte auf den letzten Metern viele Befürworter der schottischen Unabhängigkeit und dürfte mitentscheidend dafür sein, dass diese zuletzt doch für einen Verbleib beim UK stimmten oder zuhause blieben.

Die EU ist kein Freund der Nationalstaaten, aber noch weniger ist sie ein Freund der Regionen. Jede abgespaltene Region wäre ein neues Land: ohne vorherige Verträge, die das Mutterland ausgehandelt hat. Das gilt übrigens auch für die NATO-Mitgliedschaft, was einem gewissen transatlantischen Hegemon auch nicht schmeckt. Katalonien ist also eben nicht ein Baustein im großen EU-Plan den Nationalstaat zu zerstören, sondern die Regionen sind ein Ärgernis, da sie sich bei einer Unabhängigkeitserklärung zuerst einmal Brüssel doppelt entzögen. Ja, die katalanische Regierung spricht davon, dass sie gerne in der EU verbliebe – dabei handelt es sich aber um Durchhalteparolen gegenüber der verunsicherten Bevölkerung, die angesichts des Wegfalls des Euros und möglicher Zölle an der französischen und spanischen Grenze in Panik verfallen könnte. Die EU wird bei einer Unabhängigkeitserklärung Katalonien zusammen mit der Weltbank und anderer internationaler Organisationen ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen, um Katalonien wirtschaftlich und finanziell zu erdrücken. Das kleine Katalonien ist mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern und seiner traditionellen Verflechtung mit den umliegenden Territorien dabei weitaus heftiger betroffen als das unabhängige UK beim Brexit. Die EU kann auch deswegen keine Abspaltung tolerieren, weil sie damit Präzedenzfälle schüfe. Sie ist am status quo interessiert. Schon bei einer möglichen schottischen Unabhängigkeit hatten Belgien und Spanien ihr Veto angekündigt, sollten die Schotten einen Aufnahmeantrag stellen. Bei einem de facto unabhängigen Katalonien dürften noch mehr Nationalstaaten mit starken separatistischen Strömungen dagegen stimmen. Nach dem Brexit waren daher Ankündigungen aus Brüssel, ein neues Schottland-Referendum zu unterstützen und ein abgespaltenes Schottland möglicherweise in die EU aufzunehmen reine Nebelwolken, um Großbritannien zu desavouieren.

Mir scheint, der Hass einiger auf die EU aus Liebe zum Nationalstaat macht dafür blind, dass eine Gegnerschaft zum Nationalstaat nicht gleich bedeutet, dass er mit der EU unter einer Decke steckt. Neben der realpolitischen Erwägung der Katalanen, die Bevölkerung ruhig zu halten, steckt natürlich auch einiges an linksliberaler Traumtänzerei hinter der Absichtserklärung, weiterhin der EU angehören zu wollen. Das Faktum bleibt jedoch: ein freies Katalonien wäre kein Teil der EU. Sie schwächte sich also selbst, würde sie Rajoy die Unterstützung entziehen. Das weiß man in Brüssel sehr genau. Wer sich demnach gegen ein unabhängiges Katalonien stellt, weil er glaubt, ein solches nütze der EU, hat nichts verstanden. Wer wirklich gegen die EU in ihrer zentralistischen Form ist, der muss den Regionalismus stützen – und das eben nicht nur in Südtirol oder Bayern, sondern auch in Katalonien.

Aber was ist mit Katar und Soros? Erstens: Verträge sind da um gebrochen zu werden. Jedes Land in der Geschichte hat um seiner Unabhängigkeit willen einen Pakt mit mehr oder minder obskuren Figuren geschlossen. Die Iren konnten im 17. Jahrhundert als Katholiken bei ihrem Freiheitskampf auf die Franzosen vertrauen, die Griechen im 19. Jahrhundert auf die Hilfe anderer christlicher Kräfte. Die Katalanen haben jedoch keine natürlichen Verbündeten außer die anderen Regionen, die aber keine staatliche Gewalt besitzen. Es fehlt ihnen zudem ein großer Bruder, eine Schutzmacht. Die Amerikaner hatten als aufrührerische britische Kolonien alle Feinde Großbitanniens als Freunde. Im katalanischen Fall ist es umgekehrt: Katalonien hat Spanien als Feind und damit alle Verbündeten Spaniens, samt Anhang.

Die Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens ist jedoch keine Erfindung Katars oder Soros. Sie ist uralt und wurde am 12. September 1714 geboren, einen Tag nach der Eroberung Barcelonas durch die Bourbonen. Sie zieht sich durch Jahrhunderte, fand mit den Carlistenkriegen im 19. Jahrhundert ihre Fortsetzung. Die Katalanen waren immer auf der Seite der „Anderen“, das heißt, auf der Seite jener, die nicht in Madrid saßen: im 18. Jahrhundert aufseiten der Habsburger gegen die Bourbonen, im 19. Jahrhundert aufseiten der Carlisten gegen die Cristinos. Dass man sich im 20. Jahrhundert gegen Franco stellte, war weniger auf die Ideologie der Katalanen zurückzuführen, als auf das von der Republik gegebene Autonomiestatut, das die Katalanen verteidigen wollten. Wie auch in anderen Regionen folgte im Kalten Krieg der Unabhängigkeitswille der Ideologie, nicht umgekehrt: Schotten und Katalanen waren eher „links“, weil die Zentralregierung rechtsgesinnt war, in Italien und Flandern war es genau umgekehrt.

Das Spiel mit ausländischen Geldgebern oder der Anwerbung von Migranten verläuft ähnlich. Sie sind reines Mittel zum Zweck unbedingter Autonomie bzw. Sezession. Man mag das verrückt finden, wenn Katalonien Marokkaner und Pakistaner anwirbt, um diese zu katalanischen Patrioten zu machen. Noch verrückter ist es jedoch allein, Millionen muslimischer Einwanderer anzuwerben, ohne diese zu deutschen Patrioten machen zu wollen.

Einige fürchten darum, Katalonien könnte ein muslimischer Brückenkopf werden, um die Islamisierung Europas voranzutreiben. Besonders aus deutschen Mündern empfinde ich das Argument aus erwähnten Gründen hochnotpeinlich, bedenkt man Deutschlands Destabilisierungsverantwortung in dieser Frage. Steuern wir also in Zukunft auf ein Kalifat Katalonien zu? Es bleibt mir nur der zynische Kommentar übrig, dass dies doch gar nicht so verschieden von anderen europäischen Ländern ist. Man wirft Katalonien vor, für Zuwanderung, Islamisierung, Windräder zu sein, man dürfe es daher also nicht stützen. Demnach müssten aber morgen auch Frankreich und Deutschland ihrer Unabhängigkeit verlustig gehen.

Spielen wir für einige Minuten mit dem advocatus diaboli das Szenario durch. Wenn die ganzen „linksradikalen Trottel“ aus Spanien verschwinden, dann ist das doch gut für Rest-Spanien: weniger Multikulti, weniger Windräder. Wären Sie wirklich so unglücklich, wenn sich Baden mitsamt seiner 20%+ Grünen verabschiedete? Es wäre ein Dienst am restlichen Deutschland. Baden wäre weiterhin deutsch mit einer deutschen Regierung, aber die Grünen richteten im Rest des Landes keinen Unfug an. Und was haben wir als Rheinländer, Bayern oder Sachsen schon in Baden verloren? Denken Sie den Casus durch.* Es ist für alle Seiten im Grunde eine Win-Win-Situation – vorausgesetzt, sie sprechen der Heimat größeren Wert zu als der „großen Sache“ einer vereinten Bundesrepublik. Ohne Österreich ist Deutschland ja sowieso nicht wirklich vereinigt.**

Ich möchte zudem etwa den Blick vom „Morgen“ auf das „Jetzt“ zerren, eine Angelegenheit, die in Deutschland auch bei Konservativen oft aus dem Auge gerät. Der Grund, warum ich die AfD als geringeres Übel als die Regierung betrachte, hängt damit zusammen, dass die Regierung bereits Taten vollzogen hat. Die Eurokrise, die Grenzöffnung, die Rechtsverletzungen sind Fakt. Sie sind passiert. Ob die AfD Konzentrationslager errichtet, möchte ich doch noch etwas abwarten. Ähnlich sehe ich die Möglichkeit eines linksliberalen Kalifats in Barcelona: ja, gerne, lassen Sie uns abwarten! Während wir hier verbleiben, werden in Barcelona von spanischen Einsatzkräften nicht etwa Muslime, sondern wehrlose alte Omas und normale Bürger niedergeprügelt. Europäer wie Sie und ich. Dieselbe Konsequenz, die man bei der Übertretung von Recht in Europa wünschte, oder zumindest bei der Verteidigung der Grenzen, wird hier gegen das eigene Volk angewendet. Nicht gegen Demonstranten, nicht gegen Aktivisten oder gar Islamisten – sondern Leute, die uns ähnlicher sind, als manchen lieb ist. Es ist einfacher, sich als bettelarmes Drittweltland mit Mischkultur und Mischsprachen loszusagen als ein organisches Gebilde im demokratischsten Europa aller Zeiten unabhängig zu machen.

Damit kommen wir zur Sünde und Dummheit der Rechten in Deutschland, welche einem Volk die Freiheit und Unabhängigkeit zusichern wollen, anderen aber nicht. Wie kann ich denn von Selbstbestimmung gegenüber dem Fremden faseln, von der Nation und Tradition, wenn ich diese nur meinen eigenen ideologischen Gesinnungsgenossen zugestehe? Ein unabhängiges Ostdeutschland sine Berolinum mit nationaler Regierung, aber für Katalonien nicht, weil die dort links sind? Was ist denn nun mit der Freiheit der Völker? Wenn sie falsch abstimmen, dann sind sie weniger wert? Haben weniger Unabhängigkeit verdient? Ist das nicht eigentlich die linke Denke, die auch AfD-Wähler, Rechte oder Wutbürger als Menschen zweiter Klasse abstempelt und im Bundestag ausgrenzt?

Rechtsintellektuelle kommen in Teufels Küche, wenn sie das Recht auf Heimat einer Gruppe absprechen. Sie macht sich damit unglaubwürdig. Ich kann nicht hierzulande von Heimat reden, sie dann andernorts aber nicht geltend machen. Ich muss sie zugestehen können. Ein ähnliches Problem hatten die Deutschen bereits 1860, als sich Italien gründete: einerseits war man Nationalist, sprach von der Freiheit der Völker Europas; andererseits war man gegen die Italiener, ging doch die Lombardei Österreich verloren. Also: gern alle Menschen unabhängig und frei, aber zu unseren Konditionen!

Man fragt sich bange: ja, wie weit soll die Kleinstaaterei noch gehen? Sollten sich morgen alle Einwohner Altöttings dazu entschließen, sich von Deutschland unabhängig zu machen, so frage ich: mit welchem Recht außer dem Gewaltmonopol könnte ein norddeutscher Berliner Anspruch erheben, diese liederlichen Separatisten wieder in die Bundesrepublik einzuverleiben? Und zu wessen Gunsten? Müssen die Altöttinger zur Raison gebracht werden? „Gehören“ sie Berlin und den anderen Deutschen? Herrschaft beruht (auch) auf Konsens, wenn es nicht gerade einen absoluten Monarchen gibt, der den Staat als Besitz deklariert. Und es bleibt die Frage: wie nützlich ist es für beide Seiten, dass Altötting im Bund verbleibt, wenn dessen Bewohner den Staat nur noch boykottieren? Unabhängigkeitserklärungen und Revolutionen sind zudem so gut wie nie „legal“.

Es kommt bei einigen die Fratze zutage, dass sie von Heimat sprechen, aber den Staat meinen. Die Liebe zum Staat ist aber meine nicht. Und es führt in Erklärungsnöte, wenn man von einem idealen und geistigen Deutschland, Frankreich oder Italien schwärmt, dafür aber Administration und Verwaltung braucht; und es macht die Argumentation kaputt, dass man ja das eine, wahre schöne „Deutschland“ verteidigt, so gegen die Merkelregierung, obwohl man doch in Wirklichkeit nur ein anderes Staatswesen meint.

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*Leser aus dem anderen Lager können gerne die Abspaltung Bayerns als Szenario übernehmen.
**Mit einer Hauptstadt und Kaiserresidenz Wien, natürlich.

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