Die Exmatrikulation des Ernst Moritz Arndt

25. Januar 2017
Kategorie: Freiheit | Historisches | Italianità und Deutschtum | Medien | Regionalismus

Die Universität Greifswald legt den Namen des Schriftstellers, Historikers und Patrioten Ernst Moritz Arndt ab. Nur wenige Medien können die empörungsgeschwängerte Feststellung zurückhalten, dass dieser Name erst seit 1933 die Alma Mater ziert. Arndt stammt nicht nur aus der Gegend, er hat an dieser Universität studiert und gelehrt, aber was taugen heute noch lokalhistorische Bezüge und Kontinuitäten? Schon 2009 empörte sich die Zeit gegen den „völkischen Ideologen“ und „Antisemiten“ Arndt, dessen Namen immer noch viel zu viele öffentliche Einrichtungen trügen. Es ist eine sehr merkwürdige Zeit, in der wir leben: wenn Sie im Nachhinein von Völkermördern instrumentalisiert werden, sind Sie auf einmal einer der ihren, lang über den eigenen Tod hinaus. Die Ironie, dass der Geschichtsprofessor seinerzeit ein „Progressiver“ war – Arndt galt als Vorkämpfer der Freiheit und der Demokratie, setzte sich für die Abschaffung der Leibeigenschaft ein und saß nach der Revolution von 1848 im Paulskirchenparlament – und heute von vermeintlich Progressiven als „umstritten“ tituliert und seiner Ehren beraubt wird, entgeht wohl den meisten Beobachtern.

Selbst die Welt applaudiert der Entscheidung und meint: gut so. Der Artikel ist ein Exempel. Auch dort werden die verschiedenen Verdienste des Mannes, der mit „Was ist des Deutschen Vaterland?“ ein erstes Deutschlandlied dichtete (die Haydn’sche Hymne war zwar schon erklungen, aber die Fallersleben’sche Tinte fehlte noch), zwar aufgezählt – aber sie verwelken sofort im Angesicht der schrecklichen Taten dieses „deutschesten aller Deutschen“. Wir fragen uns: was ist heutzutage Grund genug, dass jemand zur persona non grata erklärt wird, deren Name sich nicht mehr zur Benennung von Gebäuden, Straßen und Plätzen eignet?

Bei der Welt lesen wir von Franzosenfeindschaft und Antisemitismus. Das sind zwei Felder, die gerade in Deutschland Emotionen freisetzen. Allein: Rassismus, wie der Welt-Autor unterstellt, war es nicht.

Ja, Frankreich war für Arndt, wobei er zwei Formen rassistischer Abwertung zusammenband, „das Judenvolk“. Die Franzosen standen in seinen Augen sogar noch unterhalb der Kinder Israels, als „verfeinerte, schlechte Juden“.

Arndt verkörpert sozusagen in nuce deutsche Geschmacksbarbarei, jenes deutsche Unverhältnis zur Form, zur Zivilität, das uns bis heute zu schaffen macht. Er bekannte expressis verbis: „Ich hasse den französischen Leichtsinn, die französische Zierlichkeit, die französische Geschwätzigkeit und Flatterhaftigkeit“, weil sie „deutsche Kraft und Unschuld entehren.“

Denn Deutschland verbindet sich für Arndt mit jener Vorstellung von Reinheit und Ursprünglichkeit, die als Leitgrößen dann vor allem unter den Nationalsozialisten eine so unheilvolle Karriere machten. Schon ganz im völkischen, protohitlerischen Geist sind denn auch Sätze formuliert wie die folgenden: „Die Deutschen sind nicht durch fremde Völker verbastardet, sie sind keine Mischlinge geworden.“

Was immer Ernst Moritz Arndt an humanen Ideen gehegt haben mag: Sie sind entwertet durch die oben zitierten Losungen aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“.

Was komplett übersehen wird: Arndts Vorstellung speist sich eben nicht aus Biologismus, sondern aus einem tradierten Bild seit Tacitus‘ „Germania“, dass die Deutschen aufgrund ihrer Abgeschiedenheit wenig Handel trieben, ihre eigenen Sitten pflegten, unverdorben seien, und sich daher natürlich weniger mit Anrainern mischten. Es handelt sich daher mitnichten um eine originale Idee Arndts, sondern einen „Topos“, den man durch die ganze Frühe Neuzeit beobachten kann. Eine Linie zu den Nationalsozialisten zu knüpfen, die ganz klar biologistisch-wissenschaftlich und sozialdarwinistisch argumentierten, ist dann rechtens, wenn man auch Tacitus eine Frühform nationalsozialistischen Denkens unterstellt. Kurz: mit derselben Begründung können Sie den Verfasser der Germania aus den Unterrichtsräumen verbannen. Es handelt sich vielleicht um falsche, womöglich erfundene Topoi, aber Arndt gibt nur das wieder, was seit Wiederentdeckung des Manuskripts an Gedankengut über die „Urdeutschen“ kursierte. Der Patriot aus Schwedisch-Pommern war nicht protohitlerisch, sondern posttacitisch.

Das hat natürlich nichts daran geändert, dass auch die Anhänger des böhmischen Gefreiten Arndt missbrauchten. Dabei hat Arndt, im Gegensatz zu Marx, kein Manifest, keine Theorienschriften hinterlassen, auf die sich die Nationalsozialisten ähnlich zu den Kommunisten hätten berufen können; es bleibt bei Werten wie Patriotismus und nationaler Einheit – die aber auch die damaligen Sozialdemokraten teilten. Selbst die Zeit muss in ihrem Artikel eingestehen: nicht nur die Nationalsozialisten, auch die Widerstandskämpfer hatten Arndt für sich reklamiert. Gewalt gegen Unschuld und Recht üben, auch wenn es ein Fürst befiehlt? Dagegen darf der Soldat rebellieren! Hier findet sich keine Linie zum totalitären Kadavergehorsam oder Untertanentum, sondern jener liberale Geist der Deutschen Freiheit, der ganz konträr dazu steht. Arndt eignet sich im Grunde nicht als Nazi, wer ihn dort einreiht, geht selbst der Propaganda der ersten deutschen Diktatur auf den Leim.

Und weiter: auch, wenn Arndt immer gerne als Nationalist dargestellt wird, so war er zugleich einer der Vordenker eines Regionalismus, welcher beide Identitätsebenen – lokal-landsmannschaftlich auf der einen, kulturnational-sprachlich auf der anderen Seite – vereinte. Das wird gerade in „Was ist des Deutschen Vaterland?“ deutlich: denn einerseits ist Deutschland da, wo die deutsche Zunge klingt, andererseits werden jedoch alle verschiedenen Regionen mit ihren Völkern und Besonderheiten genannt. Hier lebt „teutsche Libertät“, also sowohl deutsche Freiheit in der Unabhängigkeit nach außen, wie auch in der nach innen. Arndts Deutschland ist kein gleichgeschalteter Zentralstaat, sondern ein Mit- und Nebeneinander deutscher Diversität, wie man neudeutsch sagt. Föderalismus und Regionalismus! Es atmet der Geist des Alten Reichs in diesen Worten, zugleich aber bereits der Nationalismus des Bismarckreichs. Obwohl „Nationalist“, verklärte Arndt in romantischer Manier seine Heimat, dort, wo seine Kinderwiege stand. Eine Deutung, die seinerzeit Professor Geppert zum 150. Jubiläum des Bonner Historischen Seminars vortrug, dessen geistiger Vater Ernst Moritz Arndt ist.*

Ernst Moritz Arndt ist gerade deswegen so wichtig, weil er das Deutsche in vielerlei Hinsicht personalisiert. Romantischer Geist und pathetische Haltung; Regionales und Nationales; sehnsüchtige Liebe und tiefster Hass. Was Goethe literarisch in den Faust fließen ließ, ist Arndt realiter. Arndt zu vergessen und zu verachten, heißt Kontinuitäten zu kappen. Was der Hass gegen Juden und Franzosen früher war, das ist der heutige gegen Andersdenkende, der sich in Denunziation und abgekapselter Ideologie der Eliten niederschlägt. Wer denkt, dass die damnatio memoriae Arndts einen von allen Problemen entbindet, hat nichts verstanden. Es ist wie so oft beim Deutschtum: es verbindet oftmals das Beste und Schlimmste. Aber auf einem Schachfeld der Geschichte, das sich eben nicht in Schwarz und Weiß, sondern in den verschiedensten Schattierungen von Grautönen zeigt, ist auch Arndt eine graue Figur.

Arndt hat gegen Franzosen und Juden gehetzt. Weder hat er jedoch Kriege angezettelt, noch ein Verbrechen begangen. Er war Kind seiner Zeit. Vielleicht nicht das Beste, aber mit Sicherheit nicht eines der schlechtesten. Seine Leistungen auf geschichtswissenschaftlichem, literarischem und politischem Feld sind unbestritten. Ich komme daher zu einem komplett anderen Urteil als die Welt: seine geschmacklosen Äußerungen gegenüber zwei Völkern entwerten eben nicht das Gesamtdenkmal. Mit Arndt muss man sich auseinandersetzen, auch deswegen.

Was eine Beibehaltung des Namens weitaus nützlicher gemacht hätte, insbesondere in einer Zeit, da Gedankenverbrechen als schlimmer gelten als echte Straftaten.

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*Auch, wenn seine vielgeliebte Heimat ihn nunmehr zu erniedrigen droht, hier in Bonn, seinem Sterbeort, wo er jahrzehntelang eine Professur an der neu gegründeten Universität innehatte, ist sein Andenken frisch: das Ernst-Moritz-Arndt-Haus steht bis heute wirkungsvoll an der Adenauer-Allee, am alten Zoll schaut ein Denkmal („Deutschlands Fluss, nicht Deutschlands Sie-Wissen-Schon“) gen Rhein, ein Gymnasium trägt seinen Namen.

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