The villagers who met under the village tree could also hang their politicians to the tree. It’s terrible to contemplate how few politicians are hanged today.
Üblicherweise belasse ich es bei Fremden Federn bei kurzen Kommentaren oder überlasse dem Leser die Quelle ganz ohne Anmerkung. Das gestrige Zitat von Chesterton hat allerdings bei mir mehr ausgelöst, denn die kurze Notiz sagt mehr über Chesterton und seine philosophische Weltsicht aus, als man meinen mag. Leser Ulrich Christoph hat nicht umsonst bei „Lepanto“ angemerkt, dass der Schöpfer von Father Brown eine Fundgrube bisher noch ungehobener Schätze ist. Insbesondere in einem Zeitalter, da christliche Philosophie sich nur noch in Moralismus und Soziallehre zu erschöpfen scheint, wirkt Chesterton wie ein Universalgelehrter, der neben Romanen und Lyrik auch ein Kompendium wirtschaftlicher, historischer und politischer Schriften aufweist.
Bleiben wir einen Moment bei den christlichen Gelehrten unserer Zeit. In einer Gesellschaft, die laut einer führenden evangelischen Theologin auch Terroristen mit Liebe begegnen soll, würde die letzte Anmerkung Chestertons einen Aufschrei provozieren. Wie kann der nur! Allein der Gedanke, Leute aufzuhängen – wie unchristlich! Menschen als „Pestilenz“ zu bezeichnen, also ein Krankheit – das ist Sprache des Hasses, der Niedertracht und mit Sicherheit auch der Neuen Rechten!
So würde womöglich jeder heutige Diskurs ablaufen, begleitet von einem minutenlangen – oder: stundenlangen – Sermon. Frei nach Chesterton könnte man hinzufügen: es ist furchtbar darüber nachzudenken, wie wenig man heute ohne Moralismen philosophieren und diskutieren darf. Glücklich die Menschen, die im 19. Jahrhundert geboren wurden.
Chestertons Bild vom Dorfbaum als Mahnmal inmitten einer ländlichen Gesellschaft ist für den Regionalisten und den Libertären faszinierend. Je weiter entfernt eine politische Entscheidung vom Bürger getroffen wird, desto tyrannischer wird sie. Dem zentralistischen, kalten Leviathan stellt Chesterton damit ein lebendiges Gegenbild kommunaler Selbstverwaltung entgegen. Das wirkt auf den ersten Blick romantisierend; doch gerade die Lynchjustiz als reaktionärer Gegenakt zur modernen, aufgeklärten Bürokratie wirkt vorzivilisatorisch. Chesterton liebte das Mittelalter: es war womöglich brutal und rau, aber es war persönlich. Die Leute kannten einander, Macht und Herrschaft personalisierten sich in Königen, Ratsherren und Bischöfen, statt in abstrakten Institutionen und Verwaltungsakten. Im Mittelalter baumelte das Opfer am Dorfbaum, von den Fingern der Bewohner angezeigt, von den Worten des Schöffen verurteilt, von den Händen des Scharfrichters gehenkt. Das absolute Gegenbild zum kafkaesken Verwaltungsapparat des 20. Jahrhunderts, wo Häftlinge und Strafprozesse zu reinen Nummern im System kontinuierlicher Hinrichtung degradiert werden. Das Mittelalter ist hart, aber es ist ehrlich und direkt. Parallelen zum Krieg, der dazumal noch Mann gegen Mann ausgefochten wurde, und sich später zum abstrakten Konflikt von Massenheeren wandelte, sind offensichtlich.
Mittelalterliebe wird auch darin offenbar, dass der Politiker deswegen eine „Pest“ ist, weil er gar nicht die richtige Person ist, um die Interessen anderer zu vertreten. Er ist der Parasit der Neuzeit, er lebt von der Arbeit anderer. Mit der Andeutung will ich es hier belassen; dass sich in diesem Gedanken wohl auch der Zugang zu Chestertons negativem Judenbild findet – zu offensichtlich. Doch im Gegensatz zum Juden, der aus den Gilden und Zünften hinaus-, und in das Wucher- und Bankwesen hineingedrängt wird, ist der Politiker in seiner Entscheidung völlig frei, welcher Profession er nachgeht. Eine Steigerung also zu jenem Berufsstand, den das Mittelalter als „unehrlich“ abqualifizierte.
Kehren wir nochmals zur Dorfgemeinschaft zurück. Chesterton ist kein Regionalist; vielmehr könnte er als Kommunalist gelten. Nicht die Größe, nicht der allmächtige Staat zählt, sondern der Umgang zwischen Personen. Subsidiarität auf der untersten Stufe. Die Menschen haben sich hier noch nicht von ihrem Leben entfremdet. Das Dorf ist daher in mehrfacher Hinsicht Sinnbild, auch in wirtschaftlicher Hinsicht – zu „Small is beautiful“ ist es hier nicht mehr weit. Bemerkenswert, dass für Chesterton der Familienbetrieb die vorbildlichste Form der Wirtschaft ist, kein Großunternehmen. Kleine, selbstständige und selbstwirtschaftende Einheiten als Sinnbild einer ökonomischen Ideologie, welcher der Kapitalismus der Großkonzerne und Finanzhaie ebenso fremd ist wie der Sozialismus der Kombinate, der Arbeitermassen und Abschaffung des Privateigentums. Besitz spielt in Chestertons Welt weiterhin eine wichtige Rolle.
Damit kein System in dieser „kleinen Welt“ – ich wähle die Worte mit Bedacht in Anlehnung an Guareschi – Fuß fassen kann, muss es verteidigt werden; gegen Anonymität, gegen Parasiten, gegen Gleichschaltung, gegen Einflussnahme von Außen, gegen jede Einmischung in die Autonomie. Der Politiker, über den man keine Kontrolle hat, wird zur Gefahr. Erinnerungen an Mario Puzos „Paten“ werden wach: halte deine Freunde nah bei dir, und deine Feinde noch etwas näher. Dass keine Politiker mehr an Dorfeichen aufgehängt werden, ist ein sicheres Zeichen, dass es keine Dorfgemeinschaften, keine autonomen Gemeinden, keine Selbstverwaltung mehr gibt. Es bedeutet, dass Macht von außen ausgeübt wird; und es bedeutet, dass man sich bereits gegen diese Macht nicht mehr wehren kann. Die Herrschaft ist dem Dorfbewohner entglitten, und jedem freiheitlichen Reaktionär muss daher der Kopf schmerzen, wenn es nicht ab und an einen Politiker gibt, der an einem Baum aufgeknüpft wird. Das System – welches auch immer! – hat gegen die kleinen Leute gewonnen.