Vor der Printausgabe gingen die Medien ja eher weniger auf Tichys Einblick ein, wohl in der Vermutung, das Thema würde sich von selbst erledigen. Außerhalb einiger Vorwürfe vonseiten eher unbedeutender Publizisten, die Tichy „Rechtspopulismus“ ankreideten, kam da wenig. Populismus zeichnet sich im Übrigen durch Vereinfachen von Themen aus, was man bei Autoren wie Goergen, Held und Gadamer wohl kaum sagen kann. Der Vorwurf ist daher schon aus rein sprachlichen Gründen kaum haltbar; auch nicht gegen Tichy selbst, der nicht „vereinfachend“ spricht und schreibt, sondern so, dass ihn auch Leute außerhalb der akademischen Sphäre verstehen. Der Snobismus einiger Feuilletonisten greift einen ja bereits aus den Kommentarspalten an. Ganz abgesehen davon, dass die Löwenfeder wohl kaum über das Papier eines Krawallblatts kratzen wollte, und das gleich zum wiederholten Male.
Nachdem sich die Süddeutsche Zeitung erst kürzlich mehr oder minder über Tichys Einblick ausgelassen hatte, ist nun die Welt dran. Christian Maier schreibt über ein Medium, das dem Staat die Gefolgschaft kündigt. Liest sich erst einmal ganz gut. Aber auch die Welt springt auf den Zug auf, dass Tichy ja in Wirklichkeit gar nicht seriös sei:
Entrechtung, Realitätsverlust, Gefahr – der bestimmende Wesenszug des „Einblicks“ ist der Alarm. Wer bestreitet, dass es nicht fünf vor zwölf auf der Uhr ist, gehört zu den Einlullern der Nation. Es ist aber gar nicht so sehr die universelle Mahnung, die selbst in einer eher moderaten Überschrift wie „Keine schönen Aussichten“ (über die Deutsche Bank) zum Ausdruck kommt, die irritierend wirkt. Journalisten können und müssen Mahner und Warner sein, wenn es nötig ist. Es ist vielmehr der stellenweise übertrieben aggressive Ton, der zu schaffen macht. Häme, Schimpf und Schande komponieren die Begleitmusik.
[…]
Dass „Tichys Einblick“ inhaltlich streckenweise so schrill daherkommen muss, ist bedauerlich. Bedauerlich, weil Tichy und der Großteil seiner Mitautoren von Hetzschreibern und Verschwörungstheoretikern der sogenannten Neuen Rechten, von Publikationen wie „Compact“ oder „Kopp“, eigentlich Lichtjahre entfernt sind. Und ihnen in manchen Momenten doch erstaunlich nah kommen.
Kurz: Tichy ist ein „Alarmblatt“. Im Umkehrschluss heißt das wohl, dass alles in Butter ist. Ich weiß nicht, wo Christian Maier wohnt, und wie viel Kontakt er zur Außenwelt hat, aber anscheinend gibt es noch weiße Flecken in Deutschland, wo sich noch nicht herumgesprochen hat, dass der politische Umschwung in weiten Teilen Europas ganz reale Gründe hat, und nicht auf diffusen Ängsten gründet. In Italien kann man einer erdbebengeschüttelten Nation bereits jetzt nicht erklären, warum man Zuwanderer mit Sozialhilfe stützen soll. In Deutschland scheint es dagegen irgendwo geheime Dukatenesel zu geben, die man dauernd anzapfen kann. Der Duktus: warnen und mahnen sollen Journalisten, aber nicht so. Das ist schrill und aggressiv. Beispiele? Konkret keines, außer der Hinweis auf Schunke, die nicht einmal mit Namen genannt wird:
Tichy schreibt hier über seine Leser oder die, die er erreichen will. Ein paar Seiten weiter erklärt eine 27-Jährige Studentin, sie fühle sich entrechtet und entziehe dem Staat ihre Gefolgschaft. Kostprobe: „Ich muss keine fremde Kultur bedingungslos tolerieren und respektieren, die meine nicht achtet …“.
Ist dem heutigen Journalismus so ein Statement bereits zu krawallig? Wehe dem, der mal an ausländische Medien gerät; Oriana Fallaci hat zu Lebzeiten weitaus deftigeres in großen, etablierten Zeitungen verfasst. Ganz abgesehen davon, dass die Medien bei Themen wie PEGIDA-Demonstrationen, Protest beim Tag der Deutschen Einheit, ungeklärten Anschlägen auf Moscheen und erfundenen, rechten Aufrufen zum Selbstmord eines Migranten sofort dabei sind zu geifern, und selbst den Alarm von Islamophobie, Rassismus und dem Aufstieg des Vierten Reiches läuten. Auch die Welt bekleckert sich da nicht gerade mit dem Ruhm von Nüchternheit und Abwarten von Fakten. Dorn, Balken und so.
Zudem wartet der Beitrag mit einer Falschmeldung auf:
Die Flüchtlingskrise ist der Hauptgrund, warum es den „Einblick“ überhaupt gibt. Dem Journalisten Tichy, der Chefredakteur mehrerer Wirtschaftsmagazine war, darunter „Impulse“, war die vermeintlich viel zu homogene deutsche Medienlandschaft zwar schon lange ein Dorn im Auge. Doch erst die neue Zuwanderung öffnete das Tor, machte aus dem Blog ein Geschäftsmodell.
Der Einblick war zuerst Tichys eigene Meinungsseite. Es finden sich dort noch Beiträge aus dem Jahr 2013. Die ersten Gastbeiträge von Schäffler und Müller-Vogg datieren vom Jahresbeginn 2015. Da war das Sommerereignis noch einige Monate entfernt, um überhaupt relevant zu sein. Vielmehr waren Griechenland, Euro und EU die Erstthemen der Meinungsseite.
Das Spannendste an dem Artikel sind die Kommentare darunter. Bis auf eine Ausnahme wird dort einhellig Tichys Einblick empfohlen, besonders wegen der ausbleibenden Zensur durch Moderatoren. Stolz künden die Leser von ihren Abonnements. Andere bedanken sich für den Tipp. Der Beitrag war demnach ein klarer Erfolg für die „falsche Seite“. So kann’s gehen.