Jede Seite ist die Falsche. Eigentlich!

2. Mai 2016
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Gut gebrüllt Löwe | Ironie | Linkverweis | Medien | Tichys Einblick

San Marco stehe uns bei. Es ist geschehen, was der etablierte Zirkel reaktionärer Diarienschreiber nicht für möglich gehalten hätte. Darf das sein? Ein Gesinnungsgenosse, der sich nun nicht mehr mit Wein im Gaumen und Faurés Pavane in den Ohren… im Sessel des vorletzten Jahrhunderts zurücklehnt, und das gar feierlich flammende Feuer draußen bestaunt? Der seinem intellektuelles Schloss aus Elfenbeintürmen und angebauten Wolkenkuckucksheimen den Rücken kehrt, wo man doch von hier aus den schönsten Panoramablick auf den sich ausbreitenden Weltenbrand hat?

Michael Klonovsky – Focus-Redakteur, Diarienbetreiber, Schriftsteller („Lebenswerte“, „Der Held – Ein Nachruf“, „Aphorismen und Ähnliches“), Puccini-Verehrer und Maurer – hat es getan. Der Mann, der seine Vorstellung von Politik mit dem Satz „Leichen im fünften Akt“ umschrieb, scheint sein Vorhaben realisieren zu wollen. Natürlich nicht als Redner, denn die Feder liegt dem Ironiker eher. Klonovsky soll publizistischer Berater der AfD-Spitze werden. Glaubt man der Quantitätspresse, so kann das eigentlich nicht zusammenpassen; schließlich wurde uns die garstige Protestpartei bisher als Ansammlung grauer Menschen mit dumpfen Parolen verkauft.
Klonovskys Worte tanzen dagegen wie herabgefallene Perltopfen auf frischen Rosenblüten. Ich zumindest genieße die Sprache und Unaufgeregtheit seiner Seite. Ein einziger Aphorismus versetzt dort jedweder Ideologie einen Todesstich.

Sloterdijk ließ sich daher zu der Anmerkung hinreißen, er fühle sich bei ihm an Tucholsky erinnert. Dennoch halte ich das für zu kurz gegriffen; denn Klonovsky ist nicht nur Journalist, nicht nur Schriftsteller, nicht nur Philosoph. Bei ihm pocht eine nietzscheanische Ader des Lebens, manchmal unterschwellig, manchmal offen – nietzscheanisch in dem Sinne, dass er zwar dem Zynismus ab und an Platz einräumt, dennoch lebensbejahend bleibt. Sein Intellekt lässt ihn die Abgründe tiefer sehen; er begibt sich jedoch nie ins Jammertal, ergeht sich nie in Nihilismus.

Insofern hätte ich ihn in seinem Wesen, seiner Lebensauffassung und seiner Kunst eher in die Nähe D’Annunzios gerückt, hätte ich mich entscheiden müssen; Klonovskys Faszination für die Raumfahrt, eben den „echten“ technologischen Fortschritt, ähnelt dem Wunsch D’Annunzios nach der Fliegerei und dem Neuen. Und vermutlich ist es dasselbe Lebensgefühl, das beide in den „Einsatz“ trieb, den einen in den bewaffneten, den anderen nunmehr in den politischen Kampf.

Bleibt noch der fünfte Akt, den Klonovsky erwähnte. Nun denn: behalten wir ihn im Auge. Womöglich böte sich eine deutsche Hafenstadt freiwillig als neues Fiume an, wo man dem Wiedergänger des Vate gebührend Ehre erweisen könnte.

Wenn schon ein Reaktionär in die Politik eintritt, dann bitte mit gebührendem Ausgang.

Addendum: Ausgerechnet der taz (!) gibt der Mann sein erstes Interview in neuer Position.

Schauen wir mal zwei Jahre nach vorne. Was haben Sie für die AfD, für Frauke Petry bestenfalls erreicht? Was sind Ihre Visionen?

– Die AfD sitzt im Bundestag, und die CDU hat kapiert, dass sie mit ihr koalieren muss, um zu regieren. Merkel ist im Ruhestand, macht einen Deutschkurs und liest Hölderlin.

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