Freunde kann man sich aussuchen

14. Februar 2016
Kategorie: Europa | FAZ-Kritik | Freiheit | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Regionalismus | Sunniten und Schiiten: Ein Dreißigjähriger Krieg? | Zum Tage

Kürzlich noch fasste ich die harten Fakten zusammen, was den derzeit größten Störer des Weltfriedens angeht, schon nach wenigen Stunden bestätigt der neue Sultan von Ankara meine Kassandra-Rufe. Die Türken haben noch am gestrigen Nachmittag kurdische Stellungen am syrischen Flughafen Menagh angegriffen, unweit der nordsyrischen Stadt Azaz. Das ist kein Zufall: der Ort Azaz gilt als ein wichtiger Punkt zur Versorgung der syrischen Opposition durch türkische Hilfen. Seine Eroberung durch kurdische Kräfte hätte bedeutet, dass die „Rebellen“ in Aleppo von ihrem ausländischen Nachschub abgeschnitten gewesen wären.

Ich schreibe deswegen „Rebellen“, weil in den westlichen Medien immer so getan wird, als handele es sich um einen homogenen Block von Anti-Assad-Truppen mit säkularen Forderungen. Die Mehrzahl der „Rebellen“ besteht allerdings weiterhin aus Islamisten bzw. Dschihadisten. Ihr bekanntester Vertreter ist Al-Nusra, der auch ein Gros der „Verteidiger“ von Aleppo stellt. Al-Nusra ist ein direkter Ableger von Al-Quaeda, also nicht minder radikal als der Islamische Staat. Diese hat seit 2013 die Lebensmittelversorgung Aleppos unter Kontrolle, man kann sich also denken, wer die „Verteidiger“ der Stadt sind und in wessen Dienst sie stehen. In unseren Medien zählen diese Radikalislamisten aber in den häufig dargestellten Karten als „unter ferner liefen“ der Rebellen. Daneben gibt es noch eine Vielzahl sog. „gemäßigter“ Fraktionen, die eben „nur“ die Scharia als Gesetzgebung haben wollen. Die Freie Syrische Armee, die lange in den westlichen Medien als Gegenbild aufgebaut wurde, hat sich bereits ab 2014 zerstreut – das konnte bereits Peter Scholl-Latour vor Ort sehen, was er in seinem 2014 Buch „Fluch der bösen Tat“ niederschrieb.

Der türkische Eingriff kommt nicht überraschend. Wer sich in der ausländischen Presse informiert, wird feststellen, dass es in den letzten Wochen zu strategischen Neuausrichtungen kam. Israel spielt schon länger mit dem Gedanken eines unabhängigen Kurdenstaates. Nachdem das Verhältnis Israels zur Türkei seit Erdogans Amtsantritt stark gelitten hat, und Israel damit seinen einzigen nennenswerten Bündnispartner in der Region verlor, ist das Land völlig isoliert. Es steht auf der einen Seite in Opposition zur Schiiten-Allianz; erstens aufgrund der Querelen mit der Hizbullah im Libanon, zweitens wegen des andauernden Konfliktes mit dem Iran, der trotz der amerikanischen Annäherung noch nicht ausgestanden ist. Auf der anderen Seite kann es schwerlich zur sunnitischen Allianz unter saudisch-türkischer Führung mit latenter IS-Unterstützung wechseln. Ein unabhängiges, laizistisches Kurdistan käme den Israelis in so einer Situation sehr recht, besonders als strategischer Puffer zwischen Syrien, Türkei, Iran und Irak.

Auch die Schutzmacht Israels scheint die Nahoststrategie zu überdenken, und nunmehr verstärkt die Kurden zu unterstützen. Bereits im Irakkrieg 2003 kooperierten die USA mit kurdischen Streitkräften, damals noch gegen Saddam Hussein im Nordirak; aber damals schon beobachtete Ankara diese Entwicklung misstrauisch. Bis dato bevorzugten die Amerikaner ihren strategischen, türkischen Verbündeten. Doch die letzten Jahre haben stärker denn je vor Augen geführt, dass die kurdischen Truppen sich als effizienteste Bekämpfer des Islamischen Staates erwiesen. Die USA unterstützen nunmehr auch die syrischen Kurden. Das kann nur ein Dorn im Auge Erdogans sein, der um die Stabilität seines eigenen Landes fürchten muss, dessen anatolische Hinterlande nahezu komplett in kurdischer Hand sind und seit Jahrzehnten unruhig. Das Wahlergebnis kurdisch gesinnter Parteien und der neue militärische Vorstoß gegen die türkischen Kurden zeigt die Brisanz der Situation. Für viele scheint der Traum eines freien Kurdistans greifbarer denn je.

Für Erdogan ist daher der Angriff auf syrisch-kurdische Verbände ein Spiel damit, wie weit er gehen kann. Die Amerikaner sollen zeigen: steht ihr hinter der Türkei, oder steht ihr hinter diesen – aus türkischer Sicht – kurdischen Terroristen? Es könnte der Auftakt einer neuen türkischen Politik sein. Sollten die Amerikaner sich nun doch auf die türkische Seite stellen und die Unterstützung für die Kurden fallen lassen, bedeutete das eine erhebliche Stärkung der türkischen Position und eine Schwächung der Anti-IS-Kräfte. Die Türken werden nämlich mitnichten gegen den IS kämpfen, sondern vor allem gegen die Kurden, die Truppen Assads und damit auch unweigerlich gegen russische Kräfte. Die Türkei hat bereits klar gemacht, dass sie nicht davon ablassen wird, Aleppo zu unterstützen. Das ist eine Ansage.

Selbst aber wenn Amerika seine Protektion der Kurden nicht aufgibt, könnte dies verheerende Konsequenzen haben. Es ist fraglich, ob die Türkei, deren Kräfte bereits in den kurdischen Gebieten des eigenen Landes gebunden sind, es sich lange Zeit erlauben kann, mit Artilleriebeschuss russische Verbündete zu attackieren. Die Reaktion Moskaus wird folgen. In dieser Hinsicht ist es mitnichten ein Zufall, dass am Wochenende saudische Luftwaffenverbände nach Incirlik verlegt wurden. Wie schon früher angemerkt: den Saudis ist die sunnitische Vorherrschaft im Nahen Osten wichtig, da ist selbst der Pakt mit den Türken möglich, trotz einer alten Hegemonialrivalität über den Fruchtbaren Halbmond. Sollte damit der Startschuss zu einer Bodenoffensive türkisch-saudischer Truppen fallen, dürfte es zu einem langen, blutigen Zermürbungskrieg kommen. Russland wird Assad nicht nach so vielen Anstrengungen fallen lassen; letzteres ist allerdings erklärtes Ziel der saudisch-türkischen Allianz.

In diesem Zusammenhang verweise ich darauf, dass ab heute der Beitrag zu Sunniten und Schiiten, der hier als fünfteilige Reihe im Januar erschien, nunmehr als durchgängiges Traktat nachzulesen ist.

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