Nachdem die Malpazzi die Herrschaft über Palatina an sich gerissen hatten, herrschten dort zuerst drei tüchtige Markgrafen. Ezzo I. entmachtete seine Rivalen, stellte die öffentliche Ordnung wieder her und schaffte die Republik zugunsten des Feudalwesens ab. Sein Sohn Galeazzo errang Ruhm und Ehre zu Felde und erweiterte die Grenzen Palatinas mit Gewalt. Sein Nachfolger Filippo, der zweite Sohn Ezzos, sicherte den Staat außenpolitisch ab, formte Bündnisse und ließ sich vom Kaiser in den Stand des Herzogs erheben.
Nach Filippo sollte Ezzo II., der Sohn Galeazzos, folgen. Der litt lange darunter, dass sein Onkel Filippo den Thron besetzt hielt. Galeazzo war früh verstorben, und Filippo hatte Palatina zuerst nur als Regent verwalten wollen, bis Ezzo II. das siebzehnte Lebensjahr erreichte. Als es aber so weit war, vertröstete Filippo den jungen Prätendenten immer wieder. Filippos Zunge war berüchtigt an den Höfen Europas, und wie er schon manchen Handel gewinnbringend abgeschlossen hatte, und dabei Fürsten und Könige über den Tisch zog, konnte er auch den eigenen Neffen immer wieder zurückhalten. Irgendwann verstand der jüngere Ezzo, dass er Filippo nicht stürzen konnte: dazu war dieser zu gut vernetzt und zu beliebt im Volk. Dreizehn Jahre grollte er mit geballter Faust im Hintergrund, bis der verhasste Onkel endlich starb.
Das Volk Palatinas wusste zuerst nicht, was es vom neuen Herzog halten sollte, denn die Erinnerung an Filippos gute Herrschaft stellte eine Hürde dar. Damit nicht genug: Filippo hatte selbst Söhne hinterlassen, und einige Adlige befürworteten deren Nachfolge, weil ihr Vater sich so gut um das Landeswohl gesorgt hätte. Man sagte: »Unter Galeazzo waren wir Soldaten, unter Filippo waren wir wieder Kaufleute.« Und Ezzo II. wusste, wie sehr die Palatiner lieber Handel trieben oder ihren Geschäften nachgingen, statt in den Krieg zu ziehen.
Ein Philosoph witterte die Gelegenheit, sich bei dem neuen Herzog als Berater anzudienen, und schrieb ein Buch über die richtige Herrschaftsweise, das er der Familie Malpazzi widmete. Ezzo II. ließ nach ihm schicken, und erfreut kam der Gelehrte dem nach – denn der glaubte seine Anstellung sicher. Der Herzog wartete im Saal auf den Philosophen, und meinte ihm gegenüber, er habe keine Zeit, um Bücher zu lesen; daher solle ihm der Gelehrte hier vor Ort erklären, wie er seine Macht sichern könne, die ihm andere nehmen wollten.
Der Philosoph verlor sich in einer langen Rede, voller Theorien und gedrechselter Worte:
»Hoheit, mit der Macht verhält es sich so: es gibt keinerlei Definition, keinerlei Begriff davon. Wenn Ihr sagt: „Erkläre mir die Macht“, so müsst Ihr bedenken, dass jeder die Macht anders wahrnimmt. Da gibt es einmal die „Macht etwas zu tun“, und die „Macht über etwas“. Und da Macht immer von anderen abhängig ist, sowie ihrer Legitimität, hat keiner die Macht allein, sondern immer eine soziale Gruppe, die möglicherweise hierarchisch ausgebildet sein kann. An sich ist das Konzept „Macht“ überhaupt sehr umstritten. Wenn Ihr mich so fragt, Herr: die „Macht an sich“ gibt es gar nicht. Es ist nur ein Zauberwort, nur eine Einbildung. Alle glauben Macht zu haben, dabei geben sie sich einem Schein hin. Um die Macht wirklich zu verstehen, solltet Ihr Euch grundlegend mit einigen Gelehrten unterhalten und ihre Bücher lesen, denn es existiert eine Vielzahl von Versuchen, das zu definieren, was man nicht definieren kann.«
Nach dem langen Vortrag nickte Ezzo II., und wies den Philosophen an, ihm zu folgen. Weil der Gelehrte eine Belohnung erhoffte, tat er dies bereitwillig. Zu seiner Verwunderung führte ihn der Herzog auf den Ratsplatz, wo bereits einige Schaulustige gekommen waren und sich an Abgrenzungen drängten. Wächter mit Hellebarden hielten das Volk zurück, das immer mehr zum Platz strömte und sich lauthals Gehör verschaffte. Als der Philosoph den Herzog fragen wollte, was dies zu bedeuten hätte, bemerkte er, dass der Malpazzi sich auf eine Loge begab. Bevor der Gelehrte der Macht verstand, deutete Ezzo II. zu einer Gruppe von Männern, die eiserne Käfige bewachten. Dort drin fletschten Wolfshunde ihre Zähne, knurrten und bellten. Der Herzog gab den Wächtern ein Zeichen, und bevor der Philosoph realisierte, wie ihm geschah, rasten die Hunde aus ihren Gefängnissen hinaus und warfen sich auf ihn.
Mit Schrecken und Furcht blickte das Volk darauf, wie die Hunde den Mann auf offenem Platz zerfleischten und sich um Fleischstücke stritten. Keiner wagte es, dagegen zu sprechen, da sie den finsteren Blick des Malpazzi bemerkten. Der schaute den Kadaver, mit dem die Hunde immer noch rangen, zu den Wächtern, die stumm zusahen, und den Palatinern, die ein kalter Schauder so erzittern ließ, dass sie sich nicht mehr zu rühren wagten.
Nüchtern fügte der Herzog hinzu:
»Das ist Macht.«