Diese Woche stehen einige musikalische Einträge bevor. Die meisten davon eher kurz, aber die Klänge sollen ja für sich sprechen. Mit dem Nahen der kalten Jahreszeit füllten sich dazumal auch die Konzertsäle, weshalb sich die Premieren ausgerechnet in diesem Zeitraum jähren – so müsste ich weitaus mehr aufzählen, was mich interessiert, belasse es aber bei einem Ereignis. Allein am 4. November wäre Verdis Uraufführung der Due Foscari eine Erwähnung wert oder die von Schostakowitschs 8. Sinfonie. Nur zwei Beispiele unter vielen (bitte seht es mir nach, Rimsky-Korsakow, Rossini, Mozart et alii!). Dazu gesellen sich die Todestage zweier großer Komponisten, die ich neben Beethoven zu meinen Favoriten zähle.
Wir beginnen mit Alexander Borodin (1833-1887). Schaut man zuerst in die heutige Enzyklopädie des Allgemeinwissens, so mag man zuerst darüber stolpern:
Alexander Porfirjewitsch Borodin war ein bedeutender russischer Chemiker und Mediziner. Bis heute berühmt wurde er als Klavierdilettant und Komponist.
Das hört sich nach „ein Chemiker, der auch nebenbei etwas Musik gemacht hat“ an, ähnlich zu Felix Dahn, eben „ein Jurist, der nebenbei auch ein Buch geschrieben hat“.
Tatsächlich war Borodin ein bedeutender Forscher. Die Hunsdiecker-Borodin-Reaktion trägt seinen Namen. Nebenbei machte er sich um die besondere Förderung von Medizinerinnen verdient. Und obwohl der Mann als Naturwissenschaftler genügend zu tun hatte, nutzte er jede freie Minute für sein musikalisches Schaffen. Das ist nicht nur höchst erstaunlich, sondern anerkennenswert. Franz Liszt sollte er später ebenso zu seinen Freunden zählen wie Modest Mussorgski und den von mir hochverehrten Nikolay Rimsky-Korsakow. Auf diese außergewöhnliche Situation angesprochen, soll Borodin gesagt haben:
Für andere ist die Komposition Aufgabe, Arbeit, Pflicht, bedeutet sie das ganze Leben; für mich ist sie Ruhe, Spaß, eine Laune, die mich von meinen offiziellen Pflichten als Professor, Wissenschaftler ablenkt.
Die Doppelbelastung forderte jedoch auch ihren Tribut, denn es gibt nur wenige Komponisten dieser Zeit, die so viele Fragmente und unvollendete Werke hinterlassen haben wie Borodin. Dennoch gilt er als einer der großen Vertreter der nationalrussischen Musik. Die Sinfonische Dichtung einer Steppenskizze aus Mittelasien gilt als eines der Schlüsselstücke dieser Musikrichtung, die vom „Mächtigen Häuflein“ verfochten wurde (oft im Kontrast zu Tschaikowsky). Neben Rimsky-Korsakows Scheherazade ist die „Steppenskizze“ mit Sicherheit eines der atmosphärischsten Musikstücke der russischen Musik.
Borodin war trotz all dieser Verpflichtungen auch noch Perfektionist und jemand, der alles selbst machen wollte. So schrieb er für seine Oper „Fürst Igor“ – inspiriert vom mittelalterlichen Igorlied, dessen Authenzität jedoch in der Forschung teilweise in Frage gestellt wird – nicht nur die Musik, sondern auch das Libretto. Bei all diesen Herausforderungen war es offensichtlich, dass die Arbeit sich immer weiter verschob. Nach einer Cholera-Erkrankung fiel es Borodin zudem schwer, sich noch auf seine Musik zu konzentrieren. So sollte „Fürst Igor“ eines der vielen Fragmente bleiben. Der Komponist im Wissenschaftskittel hatte 18 Jahre daran gearbeitet (1869-1887).
Es blieb dann an Borodins Freund Rimsky-Korsakow, das Andenken an den Komponisten wachzuhalten. Zusammen mit seinem Schüler Alexander Glasunow beendete Rimsky-Korsakow die Arbeiten an diesem Stück. Die Uraufführung fand am 4. November 1890 statt – drei Jahre nach Borodins Tod.
Während der Saison 1888/1889 betraute uns das Direktorat des Kaiserlichen Theaters mit der Produktion der Oper Fürst Igor, welche bereits beendet, veröffentlicht und an die jeweiligen Autoritäten zugesandt worden war. Man führte uns noch eine weitere Saison an der Nase herum, mit dauernden Verschiebungen und Ausreden, in denen man den einen oder anderen Grund vorbrachte. Am 21. Oktober 1890 beendeten wir die Arbeit und die Probe verlief ordentlich unter der Leitung von K. A. Kuchera, nachdem Nápravník diese Ehre abgelehnt hatte. […] Alles in allem war die Oper ein Erfolg und brachte leidenschaftliche Bewunderer hervor, insbesondere bei den Zuhörern jüngerer Generation.
Nikolay Rimsky-Korsakow in seiner Biographie.
Einer der Momente, der dem Publikum im besonderen Gedächtnis blieb, war die Aufführung der Polowetzer Tänze, die bis heute als das bekannteste Stück in Borodins Werkesammlung gelten, und seinen Nachruhm als Komponisten begründeten.