Im südlichen Palatina hauste zur Zeit des Dogen Semifreddo in der kleinen Stadt Cannelloni ein junger Pastabäcker mit seinem Haushermelin. Aufgrund seines grausilbernen Fells nannten es alle nur das „Silberhermelin“. Es lebte zwischen den Mehl- und Getreidesäcken und jagte den Mäusen hinterher, die sich sonst an den Vorräten vergriffen.
Der Pastabäcker trug den Namen Raimondo Cavallucci, aber alle nannten ihn nur „Raimondello, der Dummkopf“. Man erzählte sich nämlich im Ort folgende Geschichten, welche unterstreichen sollten, was für ein Trottel Raimondello war; so kam eines Tages ein Patrizier aus Palatina, der einen riesigen Vorrat Maccheroni und Penne einkaufte, da er ein großes Fest in der Hauptstadt veranstaltete. Der Mann trug ein Gewand aus vergoldeter Seide, und als Raimondello einen Vorrat seiner Teigware aus dem hinteren Lager holte, fiel dem Edelmann das Hermelin zwischen den Säcken auf:
»Cavallucci, das ist ein wundervolles Tier. Sein Fell ist so schön silbern – glaubt Ihr nicht, es machte sich gut zu meinem goldenen Gewand?«
»Ser, mit Sicherheit täte es das«, erwiderte Raimondello.
»Ich gebe Euch 100 Dukaten für das Hermelin!«
Da stutzte der Pastabäcker, und ließ den Sack mit Teig fallen. 100 Dukaten! Damit konnte er sich einen neuen Ofen, sogar einen Anbau leisten – oder ein Boot, mit dem er seine Ware nach Mulino, Belgrano oder Mortadella verschiffen konnte. Noch ganz verträumt, bemerkte Raimondello kaum, wie der Nobile sich zum Hermelin beugte, und es in die Hände nahm.
»Ich werde mir ein schönes Schultertuch draus machen.«
Da schritt Raimondello dazwischen, und nahm das Hermelin wieder an sich; nie und nimmer würde er das Silberhermelin hergeben! Der Palatiner verstand das als kaufmännischen Trick, und verdoppelte sein Angebot auf 200 Dukaten, erhöhte dann auf 300. Der Pastabäcker schwieg immerfort; darauf wurde der Patrizier wütend, und sprach:
»500 Dukaten! Das ist mein letztes Angebot!«
Daraufhin ging Raimondello mit dem Hermelin zurück in das Lager, und ließ den Edelmann mit seiner Bestellung zurück. Die Cannellonier meinten daraufhin, was für ein Dummkopf der Pastabäcker sein müsse, denn mit 500 Dukaten hatte ein Mann wie er ausgesorgt, konnte eine Hilfe im Laden einstellen und musste nie mehr arbeiten.
Aber es gab noch eine zweite Geschichte, welche die Dummheit Raimondellos bestätigte; so kam einst ein Fischer vom Mandro zu ihm, um den Pastabäcker unter vier Augen zu sprechen. Als sie sich trafen, schüttete der Fischer ein Säcklein mit Flusssand auf dem Bäckertisch aus. Es handelte sich um sehr feinen, weißen Sand vom Grund des Mandro, so rein, dass man glauben konnte, es handelte sich um eine Prise Mehl. Der Fischer hob einige Körner, und ließ den Staub durch die Luft streifen, um Raimondello anzudeuten, dass, wenn er etwas Flusssand in das Brot mische, er sehr viel Geld sparen würde. Der Pastabäcker gab sich schockiert:
»Aber das ist Unrecht!«
»Du Dummkopf«, erwiderte der Fischer. »Alle Bäcker in Cannelloni tun das, um ihre Mehlvorräte zu strecken. Was meinst du, weshalb sie um so viel besser leben als du? Vom gesparten Geld kaufen sie sich alle Annehmlichkeiten, die dir fehlen.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich sie bereits alle mit Sand beliefere«, lächelte der Fischer listig, und bot ihm dann den Sack an: »Willst du den Sand nun kaufen, oder nicht?«
Raimondello aber wiegelte ab, und warf den Fischer aus seinem Laden. Auch diese Torheit war den Bewohnern Beweis genug, dass der Pastabäcker ein Dummkopf sein musste, denn wer seine Kundschaft nicht ausbeutete, wenn es andere taten, disqualifizierte sich als Geschäftsmann.
Eine dritte Geschichte, die den Charakter des Pastabäckers unterstrich, erzählten sich die Marktfrauen zu gerne untereinander; Raimondello hatte ein Auge auf das Brunnenmädchen geworfen, welches tagtäglich für den Nachbarladen neues Wasser schöpfte. Der Schuster, der es gut mit ihm meinte, riet ihm dazu, sich bloß zu verstellen und das Mädchen anzulügen, da er ansonsten kaum Chancen haben würde, sich mit ihr zu vergnügen. Auch hier stellte sich Raimondello ungeschickt an, weil er aufrichtig sprach, und damit zwar eine Freundin, aber keine Bettgefährtin fand.
In der Dämmerung eines Herbsttages erreichte ein alter Mann von Castiglione kommend Cannelloni, rechtzeitig, bevor die Wachen das Stadttor verschlossen. Er besuchte die verschiedenen Pastabäcker der Stadt, für die Cannelloni berühmt war; aber niemand öffnete nach Ladenschluss dem Wanderer, der bei einem Raubüberfall seinen Geldbeutel verloren hatte. Zuletzt kehrte er in eine Gaststätte ein, wo er seine Geschichte erzählte; aber der Wirt hatte ein hartes Herz, und verspottete den Greis:
»Du willst umsonst essen? Geh doch zum Raimondello, der ist so blöd, dass er auf dich reinfällt!«
Darauf lachten die Gäste auf oder prusteten den Wein aus, den sie eben noch getrunken hatten. Der alte Wanderer machte sich noch mitten in der Nacht zum kleinen Geschäft des Cavallucci am Ende der Straße auf, und klopfte gegen die verschlossene Türe. Und tatsächlich hatte der Pastabäcker, als er den ausgehungerten Mann mit dem langen Bart und der braunen Kutte sah, Mitleid mit ihm, und teilte sein Abendessen. Der Greis wollte nur eine kleine Portion, um den schlimmsten Hunger zu stillen; Raimondello aber bestand auf die eigene Gastfreundschaft, und setzte noch einen Kessel Tortellini auf, die er mit Buttersoße, Salbei und Käse anrichtete.
Der Alte zeigte sich sichtlich bewegt von dieser Geste. Und als das Silberhermelin um seine Beine streifte, fragte er Raimondello, warum ihn denn alle dumm nannten. Der junge Pastabäcker seufzte, und erzählte ihm die Geschichte, wie ein reicher Palatiner sein Hermelin hatte kaufen wollen; worauf der Alte entgegnete, dass dies nicht dumm, sondern treu gewesen sei. Der Pastabäcker fuhr fort mit dem Fischersand, mit dem er das Mehl hätte strecken sollen; erneut widersprach der Alte, dass Gerechtigkeit unverkäuflich sei. Schließlich und endlich räumte Raimondello ein, wie er um das Brunnenmädchen geworben, und es nicht gewonnen hatte. Da lächelte der Wanderer milde, und beendete sein Mahl:
»Du, mein lieber Raimondello, musst der rechtschaffenste Mann in ganz Palatina sein.«
»Rechtschaffen und dumm«, entgegnete Raimondello.
»Gerechtigkeit wirst du bei den Menschen nicht finden; daher will ich dir ein Geheimnis verraten«, beugte sich der Wanderer vor, und sah verschwörerisch zu beiden Seiten. »Du kennst den Meilenstein zwischen Cannelloni und Castiglione?«
»Gewiss.«
»Kaiser Vespasian hat ihn in den Glanzzeiten des Alten Roms dort aufstellen lassen. Für Jahrhunderte hat er die Reisenden geleitet. Der Papst Leo soll ganz in der Nähe Attila getroffen, und den Hunnenkönig dazu gebracht haben, Rom vor der Plünderung zu verschonen«, erzählte der Alte. »Geh morgen früh zum Meilenstein, und grabe fünf Ellen tief an der Hinterseite. Dort wirst du mein Erbe finden.«
Danach fasste der Greis mit dem langen Bart nach seinem Wanderstock und erhob sich. Der Pastabäcker wollte ihm anbieten, noch die Nacht über zu bleiben, da es auf den Straßen zu gefährlich war; der Alte entgegnete, dass er ohne Münzbeutel keine Beute hatte, und ehe sich Raimondello versah, verschwand der Greis am Ende der Straße. Das Hermelin sah dem Schatten nach, hatte es doch die Gesellschaft des Herrn genossen, und eine bemerkenswerte Zutraulichkeit zu dem Fremden gezeigt.
Am nächsten Morgen machte sich der junge Cavallucci mit seinem Hermelin und einem Spaten auf, so früh, dass noch in keinem Ofen Feuer brannte und die Mühlräder stillstanden. Selbst die Wachen am Stadttor waren noch von der Schicht so übermüdet, dass sie den Pastabäcker kaum bemerkten. Drei Meilen watete er durch den Schlamm der Dammstraße, über der herbstlicher Dunst lag, bis er den Stein aus der Römerzeit fand, der sich unheimlich aus den Nebelschwaden hob. Wie der Alte es ihm aufgetragen hatte, setzte er den Spaten an, und grub den halben Morgen durch. Das Erdreich hatte sich schon zu einem ansehnlichen Erdhaufen neben dem Loch erhoben, als er unter Schweiß und Schmerz eine Pause machen musste; doch das Silberhermelin wurde dabei nervös, und grub mit den Pfoten dort weiter, wo Raimondello aufgegeben hatte. Plötzlich erklang ein hölzernes Geräusch, kaum, dass die Krallen des Hermelins den Schlamm berührten: zögerlich drehte sich der Pastabäcker um, und erblickte zwischen Wurzeln und Dreck einen Truhendeckel, dessen Schloss gerostet und abgefallen war.
Cavallucci stand der Mund offen, als das Holz nach gefühlten Jahrhunderten wieder knarrte, und den Blick auf den Inhalt freigab: zwei goldene Kandelaber und Schälchen aus Silber strahlten dem jungen Mann entgegen. Ganz unten verbarg ein altes Tuch einen quadratischen Gegenstand, und fasste ihn zu einem Bündel zusammen. Aber kaum, dass der Pastabäcker diesen Reichtum fand, da kamen ihm Zweifel: Cannelloni war ein kleiner Ort, und wenn er alles sofort mitnahm oder verkaufte, dann wusste es am nächsten Tag die ganze Stadt. Daher entschloss er sich, vorerst nur einen goldenen Kerzenhalter mitzunehmen, und den Rest neuerlich zu vergraben, um sich später am Fund zu verdienen; denn Reichtum weckte die Neider.
Zurück in Cannelloni konnte Raimondello sein Glück nicht fassen, als er den Kandelaber an den Ritter Pannacotta veräußern konnte, da eben jener so ein Stück schon seit Jahren suchte. Pannacotta war damals der führende Mann im Ort und hatte den Vorsitz im Rat inne; er belohnte den Pastabäcker mit zwanzig Dukaten, was ein gewaltiger Betrag in dem kleinen Städtchen war. Er kleidete sich neu ein, kaufte sich ein Pferd und fragte erneut beim Brunnenmädchen an, das sich beim ersten Mal noch geziert hatte. Die errötete, und gestand, dass ihre Familie sich nicht damit einverstanden gezeigt hatte, dass sie sich mit ihm traf; eben weil ihn alle für einen armen Dummkopf hielten. Dass er ein zweites Mal kam, schmeichelte ihr.
Raimondello aber verstand, ging erneut zum Versteck am Meilenstein, und nahm eines der Silberschälchen mit, das er dem Brunnenmädchen schenkte. Als sie am Abend ihrem Vater das Schmuckstück zeigte, erlaubte er ihr, sich mit dem Trottel zu treffen – denn ein reicher Dummkopf war immer noch besser als ein verschlagener Bettler.
Die Vorgänge blieben nicht lange verborgen, und schon bald fragte man sich, woher denn Raimondello das viele Geld hätte, und außerdem den guten Kontakt zum Ritter Pannacotta. Das Tuscheln der Marktfrauen wurde immer lauter, als das Brunnenmädchen und er immer öfter zusammen durch die Stadt gingen, wo sie ihn zuvor noch abgewiesen hatte. Es war der Gastwirt, der sich schließlich entsann, dass Raimondellos Glückssträhne an dem Tag begonnen hatte, nachdem er den alten Wanderer zu ihm geschickt hatte. An Zufall mochte der Wirt nicht glauben, und fasste den Plan, dass man den jungen, dummen Pastabäcker um sein Vermögen erleichtern konnte. Da jeder in seiner Stube einkehrte, erfuhr er zuerst vom Pannacotta, dass ihm Raimondello einen Kandelaber verkauft hätte; und von den Marktfrauen hörte er das Gerücht, der Dummkopf hätte ihr eine Schale aus Silber geschenkt.
Weil Raimondello keine Verwandten hatte, von denen er etwas hätte erben können, kam der Wirt auf die Idee, dass jener einen Schatz gefunden haben musste. So folgte er eines Morgens unauffällig dem Pastabäcker bis zum Meilenstein, und kaum, dass Raimondello die Truhe öffnete, kam er aus seinem Versteck und schlug ihn von hinten nieder. Das Silberhermlin versuchte den bewusstlosen Herrn durch Zupfen und Kneifen aufzuwecken, doch vergeblich. Tatenlos musste es zusehen, wie der Pastabäcker im Schlamm lag, und der Gastwirt mit der Truhe entkam. Als Raimondello endlich erwachte, sah er sich umringt von den Einwohnern Cannellonis, die am Rand des Erdloches standen. Der Ritter Pannacotta trat hervor, und meinte streng:
»Ich habe heute mit dem Priester von San Zaccaria gesprochen. Der sagte mir, der Kandelaber, den Ihr mir verkauft habt, sei aus einer Kirche! Nicht anders verhält es sich mit dem Silberschälchen des Brunnenmädchens.«
Der Pastabäcker sah sich von diesem Vorwurf übertölpelt, lag immer noch im Dreck, und konnte sich kaum wehren. War der Alte ein Kirchenräuber gewesen, und hatte ihn benutzt, um seine Tat zu decken? Und hatte der Mann, der ihn niedergeschlagen, und mit dem Schatz entkommen war, die Cannellonier auf ihn gehetzt, um von dem eigenen Verbrechen abzulenken? Raimondello gingen so viele Gedanken durch den Kopf, dass er kaum klar sprechen konnte.
»Ihr versteht das nicht!«, japste er. »Das ist ein Missverständnis! Ich bin unschuldig!«
»Schweigt, Cavallucci! Wisst Ihr, welche Strafe auf Kirchendiebstahl steht?«
Der Ritter Pannacotta verhehlte seinen Ärger nicht, sah er sich doch doppelt von dem Jungen betrogen. Zwei Wächter hievten ihn aus dem Dreck, schleiften ihn vor die Edelleute des Ortes, und kündigten seine Verhaftung an. Unter den Augen des zurückgelassenen Silberhermelins kehrte die Menge mit dem Gefangenen zurück nach Cannelloni, um ihm dort in den Kerker zu werfen und den Prozess zu machen.
In all dem Tumult fasste das Hermelin den Beschluss, der Geruchsspur des Gastwirtes zu folgen, der sich des Kirchenschatzes bemächtigt hatte. Während draußen die Leute laut schrien, und den Tod des Kirchenräubers Cavallucci forderten, fand es den Übeltäter in der Dachkammer schlafend vor – die Silberschalen und anderen Kostbarkeiten in den Händen. Einzig das Bündel auf dem Boden der Kiste hatte er nicht an sich genommen. Die Meute draußen wurde immer lauter, und das Silberhermelin befürchtete, dass es zu spät kommen würde, um den eigenen Herrn zu retten. Um das Verbrechen aufzuklären, musste es herausfinden, aus welcher Kirche der Schatz stammte. Der einzige, der das wissen konnte, war der Bischof in der Hauptstadt Palatina.
Da biss das Hermelin in das Bündel, riss es mit sich, und schnellte aus der Dachkammer, über die Treppe und aus der Gaststube hinaus, hetzte zwischen den Füßen der Menge auf dem Platz her, und floh aus Cannelloni. Ganz allein machte es sich mit dem Bündel auf die weite Reise, lief über die Dammstraße am Mandro entlang, versteckte sich zwischendurch in den Büschen am Wegesrand, oder fuhr auf einem Fischerboot als blinder Passagier mit. Es machte keine Rast, nicht einmal zur Mäusejagd, sondern kam völlig erschöpft an einem Sonntagmorgen auf dem Marktplatz Palatinas an, wo aus dem Dom die Chöre des Gottesdienstes schallten – dort hielt der Bischof Monteveronese gerade die Messe.
Unter den erstaunten Blicken der Palatiner schleppte sich das ausgezehrte Silberhermelin die letzten Ellen an den Bänken vorbei, zum Altar, wo der Bischof die Eucharistie vorbereitete; aber auch ihm entging das silberne Blitzen nicht, und sah sich gezwungen, die Messe zu unterbrechen, als das erschöpfte Tier auf der Stufe zum Altar zusammenbrach. Die Messdiener und Sänger wussten nicht, wie sie den Vorfall deuten sollten, und der Diakon merkte an, dass man das Tier schnellstens entfernen sollte, da es bei der Zeremonie nichts zu suchen hatte.
Da erblickte der Bischof das Bündel, nahm es, und öffnete es vor der ganzen Menge. Im Stoff war eine Ikone eingewickelt gewesen, die den Heiligen Leo zeigte. Baff wandte sich Monteveronese an die ganze Gemeinde, und rief:
»Wem gehört dieses Hermelin?«
Da trat ein Händler aus Cannelloni, der samstags Palatina mit Pasta aus dem Süden belieferte, aus der Menge:
»Das ist das Silberhermelin vom Dummkopf Cavallucci – es muss den weiten Weg bis hierher gelaufen sein!«
Der Bischof hörte das, ordnete seinen Diener an, das Hermelin zu versorgen und zu pflegen, und setzte die Messe fort. Nachdem er diese beendet hatte, ließ er sofort seinen Kutscher und das Hermelin holen, und brach zusammen mit einer Eskorte aus vier berittenen Gardisten nach Cannelloni auf.
Dort angekommen, fand der Bischof ganz Cannelloni auf dem zentralen Platz vor der Kirche San Zaccaria versammelt, wo das Volk und die Ritter dem Cavallucci den Prozess machen wollten. Als sie aber die Kutsche Monteveroneses und seine Reiter mit den bischöflichen Fahnen ankommen sahen, kehrte schlagartig Staunen in den Tumult ein. Der Bischof von Palatina schaute aus dem Fenster, um seinen Hals lag das Silberhermelin. Misstrauisch beäugte er den Auflauf, und wollte wissen, was hier los sei; der Ritter Pannacotta sortierte seine Kleidung und den Kragen, und verneigte sich vor dem hohen Gast:
»Eure Eminenz, es ist unserer kleinen Stadt eine große Freude, dass Ihr kommt – und das zur rechten Zeit! Der schändliche Dummkopf Cavallucci hat einen Kirchenschatz geraubt, und keiner unserer Gottesleute weiß, aus welcher er stammen könnte. Einige fordern bereits die Folter, damit er gestehen möge.«
»Einen Kirchenschatz? Gehörte dieses Bündel dazu?«
Der Bischof stieg aus der Kutsche, und zeigte dem Volk das Bündel, in dem die Ikone lag. Da rief der Pastabäcker – ehrlich wie er war – aus, und bejahte, dass auch das Bündel in der Kiste gelegen habe. Darauf zeigte sich Pannacotta grimmig.
»Seht Ihr! Er gesteht seine Tat!«, glaubte sich der Ritter bestätigt. »Sprecht, Eminenz, aus welcher Kirche hat der Dieb das heilige Gut gestohlen?«
»Einen Kirschenschatz gefunden hat er wohl«, stimmte der Bischof zu, zeigte sich dann aber nüchterner: »Gestohlen aber hat der gute Cavallucci nichts.«
Weder Pannacotta, noch die anderen Cannellonier verstanden das; da enthüllte der Bischof die Ikone und sprach zum ganzen Volk:
»Vor 1.000 Jahren hat Papst Leo, der Große, nicht weit von hier dem Hunnenkönig Attila die Stirn geboten und so Italien vor der Plünderung und Verwüstung gerettet. Schon früh sprach man ihn heilig und wurde so der Schutzpatron Palatinas. In einer Kirche, die man ihm weihte, stellte man ein Bildnis dieses Heiligen Mannes auf – bis zu dem Tag, als die Ostgoten und Oströmer unsere Heimat verheerten. Die Kirche verschwand im Schutt, und die Ikone ging verloren. «
Plötzlich wurde es ganz still auf dem Platz. Einigen Cannelloniern standen die Münder offen, denn die Legende war vielen bekannt, besonders den älteren Bewohnern und den Rittern.
»Viele haben daran geglaubt, dass der Priester den Kirchenschatz hatte verstecken können; und diese Ikone des Heiligen Leo ist der Beweis dafür. Wer auch immer diesen Schatz gehoben hat, ganz Palatina ist ihm zu Dank verpflichtet – lasst Cavallucci also frei!«
Sofort lösten die Wächter die Fesseln des Pastabäckers, der überglücklich zum Bischof eilte; da löste sich auch das Hermelin von des Bischofs Schultern, und lief dem Herrn entgegen, worauf sich beide freudig umarmten. Der Bischof trat an sie heran, und fragte, wo der Rest des Schatzes sei; der Ritter Pannacotta und das Brunnenmädchen holten ihren Anteil hervor, und spendeten die Gegenstände. Raimondello jedoch musste traurig zugeben, dass ein unbekannter Räuber ihn um den Schatz gebracht hätte; im selben Moment flitzte das Silberhermelin aus den Händen des Pastabäckers quer über den Platz, und schnellte am Bein des Gastwirts hinauf, der in der Ferne dem Prozess beiwohnen und nun hatte verschwinden wollen.
Mit einem kräftigen Biss fuhr ihm das Silberhermelin in die Wade. Die Wächter untersuchten umgehend die Gaststätte, und fanden dort den Rest des Erbes von Sankt Leo.
Der Bischof bedankte sich zuletzt bei allen, und entschädigte Pannacotta, das Brunnenmädchen und Raimondello. Letzteren erhob er zum bischöflichen Pastalieferanten und gab ihm einen ansehnlichen Vorschuss. Doch zuletzt, als Monteveronese wieder in die Kutsche steigen wollte, hielt ihn Raimondello auf. Dieser wollte, bevor er die Ikone abgab, zumindest einen Blick darauf werfen. Der Bischof holte die Ikone aus dem Tuch, und Raimondello wurde mit einem Mal kreidebleich. Der Gottesmann empfand dies seltsam, und fragte nach:
»Was hat dir so einen Schrecken versetzt, mein Sohn?«
»Der Mann auf der Ikone«, schluckte Raimondello, »er bekommt mir so bekannt vor. Ich habe ihn gesehen, Eure Eminenz! Er hat mir das Versteck erst verraten!«
Darauf lachte der Bischof, und legte Raimondello die Hand auf die Schulter.
»Du willst mir sagen, der Heilige Leo habe dir das Versteck verraten?«, fragte der Bischof schelmisch nach, und flüsterte zuletzt. »Sag das nur nicht zu laut – man könnte dich einen Dummkopf nennen.«