SZENE VII
AUSSEN. VILLA DI TESINO – TERRASSE
Raffaele steht auf der Terrasse seiner Villa, beugt sich über die Balustrade. Er genießt einen Blick auf das Panorama des Flusses Rio und die Città Nuova. Er schwenkt den Wein in seinem Glas.
Hinter ihm geht Amilcare. Er hat ebenfalls ein Weinglas in der Hand. Amilcare geht zu einem Tisch, auf dem ein Schachbrett steht. Er betrachtet die schwarzen und weißen Figuren, die standartmäßig angeordnet sind.
AMILCARE:
Ein Schnitt geht durch Italien.
Amilcare macht eine Handbewegung über die Mitte des Brettes, welche nicht von Figuren belegt ist.
Raffaele wendet sich vom Panorama ab, und geht zum Schachbrett.
AMILCARE:
Durch die Republik. Durch Palatina selbst.
Er deutet zuerst auf die schwarzen Figuren, dann auf die weißen Figuren.
AMILCARE:
Guelfen auf der einen Seite, Ghibellinen auf der anderen. Zwölf Familien, zwei Lager.
RAFFAELE:
Ihr unterschlagt, dass es nicht nur Guelfen und Ghibellinen gibt.
Raffaele tippt auf die Schachfelder, auf denen die Figuren stehen.
RAFFAELE:
Es existieren Schattierungen.
AMILCARE:
(höflich)
Wenn Ihr mir eine Demonstration erlaubt?
Mit einem Ruck räumt Amilcare das gesamte Schachbrett mit seinen Figuren ab. Raffaele verzieht den Mund, während Amilcare sich niederbeugt, und einige Figuren aufliest.
Amilcare erhebt sich wieder, spielt mit dem weißen König in der Hand.
AMILCARE:
Die Weißen Ghibellinen.
Er stellt den weißen Schachkönig in die obere, rechte Ecke auf ein weißes Feld.
AMILCARE:
Die Stierfamilien. Jene Familien, welche die Buonavista anführen.
Amilcare nimmt den schwarzen Schachkönig, hält ihm diesen Raffaele vor.
AMILCARE:
Die Schwarzen Guelfen…
Er rammt den schwarzen Schachkönig in die untere, linke Ecke auf ein schwarzes Feld.
AMILCARE:
(spöttisch)
Von den Testabella-Braccioleone angeführt. Nennen sich „Löwenfamilien“. Miau.
Raffaele betrachtet das Brett. Die beiden Könige stehen sich diagonal gegenüber.
RAFFAELE:
Ihr habt die Moderaten vergessen. Die gemäßigten Guelfen und Ghibellinen im Zentrum.
AMILCARE:
Richtig erkannt.
Amilcare stellt eine schwarze Dame ins Zentrum des Brettes. Sie steht auf einem weißen Feld.
AMILCARE:
Weiße Guelfen und…
Amilcare stellt ihr eine weiße Dame auf schwarzem Grund gegenüber.
AMILCARE:
… Schwarze Ghibellinen.
Amilcare schaut zufrieden vom Brett auf.
RAFFAELE:
Im Schach hat der Spieler einen Vorteil, der das Zentrum kontrolliert.
Amilcare tippt der weißen Dame im Zentrum auf die Krone.
AMILCARE:
(gewinnend)
Und wie Ihr wisst, waren wir dell’Ulivo stets kompromissbereite Schwarze Ghibellinen.
RAFFAELE
Ihr meint: Opportunisten.
AMILCARE:
Eine Dame kann in nahezu jede Richtung schlagen, werter di Tesino.
RAFFAELE:
Die dell’Ulivo mögen die Adlerfamilien anführen, aber wenn es um die Außenpolitik geht…
Raffaele deutet auf den Weißen König.
RAFFAELE:
… würde ich lieber direkt mit Buonavista sprechen.
AMILCARE:
Und genau das ist der Punkt, weshalb wir beide paktieren sollten, mein lieber Graf von Tesino.
RAFFAELE:
(argwöhnisch)
Wieso?
Amilcare hebt den Kopf vom Brett. Er schaut Raffaele von der Seite an, lässt den Wein in seinem Glas kreisen.
AMILCARE:
Weil Buonavista nicht kommen wird.