Das Drehbuch, an dem ich nicht schreibe (VI)

23. Januar 2014
Kategorie: Das Drehbuch, an dem ich nicht schreibe

SZENE VI

 

AUSSEN. AUF DEM RIO – TAG

 

Eine Gondel fährt über das Wasser. Der Fluss Rio ist an dieser Stelle so groß wie ein See, auf dem Fähren, Boote und Gondeln verschiedener Größe fahren, und an das Bild einer Verkehrsstraße in einer Großstadt erinnern. In der Ferne ragen Türme und die Kuppel des Doms im Stadtteil der Città Nuova in die Höhe, die auf einer Insel liegt.
Valentina steht auf dem Heck, hat das Ruder in der Hand, und schiebt das Boot voran; die Silhouette des Hafenbeckens hinter ihr ist bereits verschwommen.
Ottavio liegt am Bug, sein Kopf liegt auf dem Gepäck. In seiner Hand hält er einen Kompass, der sich als kaputt herausstellt.

 

OTTAVIO:

Ist es noch weit?

 

VALENTINA:
(lächelnd)
Nicht mehr weit.

 

Ottavio wirft den Kompass wie wertlos über Bord. Er schaut nun über das Wasser. Ihm fällt die Pracht der Città Nuova aus, die im Kontrast zu San Pietro steht.

 

OTTAVIO:
Das ist immer noch Palatina?

 

VALENTINA:
Si. Città Nuova. Dort, wo die Patrizier ihren Reichtum scheffeln.

 

Ottavio schaut nochmals zurück zum Hafenbecken, hebt den Arm.

 

OTTAVIO:
Dann war das…?

 

VALENTINA:
San Pietro. Dort, wo das einfache Volk lebt und arbeitet, damit die Pfeffersäcke ihren Reichtum scheffeln können.

 

OTTAVIO:
Und Foscari…?

 

VALENTINA:
Wohnt in der Città Antica, wo der Adel auf dem Palatin lebt und herrscht.

 

Valentina deutet nun voraus. Ottavio wendet sich um, sieht zu einem besiedelten Hügel, auf dessen Spitze die Festung steht.

 

VALENTINA:
Dann gibt es noch San Paolo. Vor allem von Handwerkern geprägt. Sieht man aber von hier nicht.

 

Valentina hebt plötzlich das Ruder aus dem Wasser. Die Gondel verliert an Fahrt.

 

OTTAVIO:
Soweit ich sehe, ist diese „Città Antica“ noch weit entfernt. Warum halten wir dann?

 

VALENTINA:
Weil wir da sind, Ser.

 

OTTAVIO:
(irritiert)
Mir befinden uns in der Mitte des Flusses, von allen Stadtteilen weit entfernt.

 

VALENTINA:
(listig)
Sehr gut erkannt.

 

Valentina hält die Hand auf.

 

VALENTINA:
Das macht dann fünf Lire.

 

OTTAVIO:
(geschockt)
Fünf Lire? Das ist Diebstahl!

 

VALENTINA:
Bedaure, ich bin nicht in der Diebeszunft eingetragen.

 

OTTAVIO:
Ich werde einen Türken tun, und diese Gebühr bezahlen!

 

VALENTINA:
Dann ist hier Haltestation. Schwimmen ist umsonst.

 

OTTAVIO:
Ich zeige Euch gleich, wer hier schwimmt!

 

Ottavio lässt die Hand zum Schwertgriff an seinem Gurt fahren.

 

OTTAVIO:
Ich habe ein Rapier!

 

VALENTINA:
(unbeeindruckt)
Und ich habe ein Paddel, und kann das gesamte Boot zum kentern bringen.

 

Sie wirft einen Blick auf Ottavios Gepäck. Der bemerkt die Anspielung, sucht nervös in seinem Geldbeutel.

 

OTTAVIO:
Ich habe aber keine Silbermünzen bei mir, nur Golddukaten!

 

VALENTINA:
Wie ungeschickt von mir, ich habe kein Wechselgeld…

 

Ottavio macht ein langes Gesicht. Da er sich immer noch ziert, schaut Valentina wie gedankenverloren auf das Panorama und die Gewässer des Flusses.

 

VALENTINA:
Der Mandro mündet bei San Paolo und San Pietro in den Rio. Er hat in all den Jahrhunderten den Flussgrund ausgegraben. Das Wasser ist dementsprechend tief…

 

OTTAVIO:
(protestierend)
Ihr schneidet mir ins venezianische Fleisch!

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