Ich begrüße die Interessierten zu dieser Veranstaltung. Vermutlich muss ich meinen Gesprächspartner nicht weiter vorstellen, da er den regelmäßigen Lesern dieses Diariums wohlbekannt sein dürfte. Dennoch, ein paar Worte vorab: er war mehrmaliger Botschafter bei den wichtigsten Weltmächten; erfolgreicher Theaterregisseur und Drehbuchschreiber; Verteidigungsminister; und zuletzt sogar Bestsellerautor. Es ist mir eine besondere Freude Ihn heute für diesen Beitrag auf meinem kleinen Diarium gewonnen zu haben – bitte begrüßen Sie mit mir:
Niccolò di Bernardo „Old Nick“ Machiavelli!
»Grazie a Voi. Buon giorno.«
Signore Machiavelli, wie geht es Ihnen denn so in der Hölle?
»Zuerst einmal ein paar Worte zu all diesen Schmierfinken, die mich dort vermuten. Es ist eine Ente. Ich befinde mich auf dem Läuterungsberg des Purgatoriums. Die Hölle wäre für mich noch zu gut gewesen. Dort hätte es wenigstens ein paar amüsante Gesprächspartner gegeben. Stattdessen hat man mich ins Fegefeuer gesetzt, wo ich mich zwischen schwätzenden Marktfrauen und einigen mittelalterlichen Bauern, die mal ein paar Äpfel gemopst haben, zu Tode langweile!«
Sie sind doch schon tot, Signore.
»Das wird allgemein angenommen.«
Aber?
»Wie Sie sehen, habe ich mich so oft im Grab umgewendet, bis ich nunmehr hier bin.«
Unsere Leser würden gerne wissen, was der Grund für Ihre Wiederbelebung ist.
»Der ist ganz einfach: Ich bin wegen Angela Merkel hier!«
Um sie heimzusuchen?
»Dafür ist mir meine Zeit dann doch zu schade.«
Stimmt das Gerücht, dass Sie wegen der häufigen Nennung von Angela Merkel zusammen mit ihrem Namen von den Toten aufgeweckt wurden?
»Heute denkt wohl jeder, ein politisches Genie zu sein, nur, weil er Merkel und Machiavellismus in einem Satz nennt. Sehr kreativ, ha! Aber jetzt mal im Ernst: die Frau hat mit mir so viel am Hut wie Papst Julius II. mit der Pax Christi.«
Julius II. führte unablässig Krieg während seiner Amtszeit, das nur so angemerkt…
»Wenn irgendwer von diesen Möchtegernwissenschaftlern nur eine Zeile meines Buchs gelesen hat, wüsste er, dass die Erhaltung des Staates das erste Ziel jeder Politik sein muss. Ein Staat besteht im Übrigen aus Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet. Zu letzterem gehören Grenzen. Stammt nicht von mir, sondern Jellinek. Ändert aber nichts daran, dass von Staatserhalt demnach gerade wenig zu sehen ist. Ich möchte mich daher hier klar und deutlich von Frau Merkel distanzieren! Diese völlig ideologisierte Möchtegernfürstin zieht meinen guten, rechtschaffenen Namen in den Schmutz.«
Was würden Sie Frau Merkel raten?
»Ein Fürst, der nicht weise ist, kann auch nicht weise beraten werden.«
Harte Worte.
»Sehen Sie, es gibt drei Arten der Intelligenz: die eine versteht alles von selber, die zweite vermag zu begreifen, was andere erkennen, und die dritte begreift weder von selber noch mit Hilfe anderer. Nach dem, was ich so bisher von Frau Merkel weiß, können Sie sich vorstellen, welcher Kategorie ich die Bundeskanzlerin zuordne. Ein Fürst, der das Übel erst dann erkennt, wenn es da ist, ist nicht wahrhaft weise. Eine Eigenschaft übrigens, die ja nur wenigen gegeben ist.«
Mit Verlaub: noch leben wir in einer Republik. Womöglich gilt Ihre Einschätzung für Fürsten, aber unsere Staatsform ist doch eine andere.
»Dem widerspreche ich vehement. In einer Republik kommen die Tapfersten, die Tüchtigsten und die Geeignetsten an die Herrschaft. Eine Republik zählt daher auch immer mehr gute Männer an der Spitze als eine Monarchie. Denn ein Monarch fürchtet zu viele fähige Personen in seinem Umfeld, er hat Angst vor dem eigenen Sturz.«
Einverstanden.
»Nun übertragen Sie doch bitte das faktische Bild der deutschen Elite darauf. Sind Sie wirklich der Ansicht, dass Peter Altmaier, Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière, Heiko Maas, Andrea Nahles oder Manuela Schwesig wirklich die „Tapfersten“ und „Tüchtigsten“ dieser angeblichen Republik sind? In Merkels eigener Partei sieht es ja nicht besser aus. Da wurde pofallert und geröttgert, bis nur noch treue Parteisoldaten übrig blieben.«
Aber entspräche dieser völlige Machterhalt nicht dem Prinzip des Principe?
»Genau das ist ja die Crux! Frau Merkel regiert eine Republik wie eine Monarchie! Begreifen Sie endlich? Eine Republik zeichnet sich dadurch aus, dass der Herrscher sterben kann, und ohne Probleme gleichfalls fähige Männer nachrücken. Eine Monarchie dagegen hat immer Probleme bei der Nachfolgeregelung. Ich gebe Ihnen ein historisches Beispiel: als König Pyrrhus von Epirus Italien erobern wollte, und die Römer in mehreren Schlachten schlug, starben sogar Konsuln im Gefecht. Das hatte allerdings kaum Auswirkungen, denn die Römer hatten viele tüchtige Senatoren, die jederzeit nachfolgen konnten. Niemand war unersetzlich. Beim Königreich Epirus lag der Fall komplett anders: kaum, dass Pyrrhus starb, war auch Epirus keine Gefahr mehr für Rom und stattdessen innerlich geschwächt.
Nun frage ich Sie: wen hat Merkel als Nachfolger?«
Ursula von der Leyen, die gegenwärtige Verteidigungsministerin, bietet sich an.
»Glauben Sie tatsächlich, dass dieser Übergang problemlos vonstattengeht? Und glauben Sie, dass Ursula von der Leyen die CDU zum Wahlsieg führt?«
Nein. Eher wird die CDU wohl sehr geschwächt sein. Eben wie Sie ausführten: König Pyrrhus ist tot, und Epirus versinkt wohl vorerst im Chaos, bis sich wieder ein geeigneter König hervortut.
»Alle Fakten, die ich Ihnen genannt habe, sprechen längst dafür, dass diese sogenannte Republik bereits eine gefühlte Monarchie ist. Wenn Sie aber eine Monarchie wie eine Republik, oder eine Republik wie eine Monarchie lenken, kann das nicht gut gehen.«
Da viele nicht allzu bewandert sind, was Ihre Ansichten betrifft, und meistens nur den Principe kennen – welche Staatsform ist Ihrer Meinung nach vorzuziehen? Die Republik oder die Monarchie?
»Eine Republik ist eine Monarchie immer vorzuziehen. Immer. Denn dort hat das Volk mehr Kontrolle. Und weil es mehrere fähige Männer gibt, hält man sich in Balance. Das schränkt Willkür gegen das Volk selbst ein. Schon vor 500 Jahren war das in der Schweiz so. Bis heute ist die Schweiz vermutlich die einzige echte Republik der Welt. Sie werden immer wieder hören, wir seien „frei“ oder „die Freiheit“ habe einen großen Wert. Ehrlich: wenn Italien oder Deutschland frei sein sollen, dann besitzt die Schweiz eine freie Freiheit.«
Hört man von Machiavellismus, so glaubt man immer an das Gegenteil. Macht, Gewalt und Regelbrechung spielt bei Ihnen eine große Rolle.
»Nur im Notfall. Diese ultima ratio war zu meiner Zeit ein Tabu. Mittlerweile sind aber einige so komplett verblödet, dass sie denken, ich würde immer zu Mord und Totschlag raten. Das stimmt freilich nicht. Man soll es dann tun, wenn es der Sache nützt. Die Sache, das ist der Staat. Alles andere ist erst einmal Beiwerk. Nichts ist wichtiger als die staatliche Stabilität. Das habe ich in Italien so oft und so bitter erfahren müssen. Ich verstehe nicht, wie Frau Merkel sich von der bewunderten deutschen Ordnung so gewissenlos trennen kann. Stabilität ist nicht der Normalfall. Vielleicht haben die Deutschen in ihrer langen Friedenszeit völlig verdrängt, was echtes Chaos bedeutet.«
Sie sprechen aus Erfahrung. Woran fühlen Sie sich erinnert?
»Da gäbe es viele verschiedene Punkte, an die ich anknüpfen könnte, aber ich nenne Ihnen stellvertretend eine Bewandtnis. Die Romagna war einmal ein stark zerpflücktes Gebiet aus winzigen Territorien. Hinter jedem Hügel begann eine neue Herrschaft. Familien, Adlige, Kirchenfürsten stritten sich. Jeder war bewaffnet, jeder besaß eine Privatarmee. Räuber und Wegelagerer hatten sich eingenistet, die Romagna war gefährliches Terrain. Dann kam Cesare Borgia. Der lud alle diese Herrscher ein – und brachte sie um. Danach verbot er den Waffengebrauch, kurz: er zentralisierte die Macht auf seine Person. Das bedeutet „Gewaltmonopol“ im wahrsten Sinne. Die Räuber und Verbrecher beseitigte er mit eigenen Leuten. Danach war die Romagna geeintes, friedliches Land.«
Ich ahne, worauf Sie hinauswollen…
»In Deutschland gibt es heute eine Vielzahl von rechtsfreien Räumen. Territorien, in die sich die staatliche Gewalt nicht reintraut. Es geschieht das rückwärts ablaufende Geschehen zur Romagna: der Staat zieht seine Truppen ab, stattdessen nisten sich Verbrecher, Clans und Familienstrukturen meist mohammedanischer Herkunft ein. Sie sind bewaffnet, haben eigene Rechtsstrukturen, sogar eigene Richter. Diese Entwicklung wird nun beschleunigt. Der Höhepunkt aber: statt dass der Staat wenigstens seine eigenen Leute die Bewaffnung überlässt, damit sie sich wenigstens gegen die Wegelagerer verteidigen können, verweigert der Staat mit Verweis auf sein angebliches „Gewaltmonopol“ solcherlei Vorgehen. Das ist doch lächerlich.«
Ihre Bücher legen in vielfacher Weise den Grundstein zu den modernen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts, in denen wir heute leben. Wir sind in dieser Ordnung aufgewachsen, zumindest für meine Elterngeneration war noch keine andere denkbar. Sehen Sie diese Idee in der Auflösung begriffen?
»Wenn der Staat weiterhin zulässt, dass sich sein Territorium wieder in prä-neuzeitliche Zustände zurückverwandelt, so ist es doch ganz natürlich, dass wir uns wieder in Richtung prä-neuzeitlicher Verhältnisse bewegen. Entweder bekämpft der Staat diese Entwicklungen, oder die Bürger stellen sich darauf ein, indem sie selbst vorsorgen. Eine andere Option gibt es nicht.«
Sie sprechen von Gewalt, von Macht und von ultima ratio. Eine ultima ratio, die in der Öffentlichkeit derzeit heftig diskutiert wird, ist die mögliche Anwendung von Waffengewalt gegen Flüchtlinge an der Grenze. Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer (Grüne) und die AfD-Chefin Frauke Petry lösten damit Diskussionen aus. Wie stehen Sie dazu?
»Ich würde mit derselben Genugtuung auf Flüchtlinge, Kinder, Boris Palmer, Frauke Petry und auch auf SIE schießen, solange es der Staatsraison dienlich ist.«
Nach all diesen Gedanken meine letzte Frage: wo wird Frau Merkel bei der Bundestagswahl 2017 stehen?
»Sie sollten sich lieber fragen, wo Deutschland 2017 steht.«
Möchten Sie noch etwas zum Abschluss sagen?
»Herfried Münkler ist ein politiktheoretischer Hanswurst und elender Plagiator.«
Signore Machiavelli, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Grazie a Voi.