Folgender Artikel datiert auf den März 2017. Er war damals als Fortsetzung zum Artikel „Was hat Trump vor?“ gedacht, der es auch auf Tichys Einblick schaffte. Die Fortsetzung geriet zu einem Vergleich der Präsidentschaft Theodore Roosevelts mit der möglichen Präsidentschaft Donald Trumps. Was hier steht, sind demnach nicht so sehr Voraussagen, als vielmehr Paralellen bezüglich Charakter, Biographie und Umfeld. Der Artikel geriet länger und war ein möglicher Kandidat für das Forum der Jungen Freiheit. Aus verschiedenen Gründen kam es zu keiner Veröffentlichung; der Artikel ging mehr oder minder verschollen und verlor an Aktualität.
Zum 100. Todestag von Theodore Roosevelt am gestrigen 6. Januar habe ich ihn neuerlich herausgeholt. Dem Leser ist es überlassen, Fehlschlüsse und tatsächlich eingetroffene Prophezeiungen zu thematisieren oder zu kritisieren. Dass Trump ein Widergänger Roosevelts ist, halte ich bis heute für eine stichhaltige These.
Beim Einzug des neuen US-Präsidenten Donald Trump ins Weiße Haus machten die Veränderungen im Oval Office Schlagzeilen. Dies ist nichts Ungewöhnliches; jeder Präsident der Vereinigten Staaten nahm kleinere oder größere Veränderungen an seinem Arbeitsplatz vor. Diese Details sind nicht nur Geschmackssache, sondern haben in ihrer Tragweite natürlich Bedeutung. Besondere Beachtung weckte die von Trump eingeleitete Rückkehr der Büste Winston Churchills. Barack Obama hatte diese – aus welchen Gründen auch immer – entfernt. Einzig die WELT berichtete unter den größeren deutschsprachigen Medien von einer zweiten Änderung, die einen Staatsmann betraf: seit Januar steht eine kleine Büste Theodore Roosevelts im Bücherregal. Natürlich kommt der Autor nicht umhin, uns auch gleich die „richtige“ Deutung mitzuliefern:
Dann steht da noch eine neue Büste im Raum, etwas versteckt in einem Bücherbord. Es ist Theodore Roosevelt, von 1901 bis 1909 der 26. Präsident der USA. Ah, Teddy Roosevelt! Der „Raue Reiter“, der sich wie Putin im Sattel mit Gewehr ablichten ließ. Der erste Populist im Oval Office, ein Republikaner, der aber die Ölbarone und Großbanker aufs Korn nahm. Er kam ins Amt, weil ein Sohn polnischer Einwanderer Präsident William McKinley ermordet hatte. Roosevelt verhängte als eine der ersten Amtshandlungen eine Einwanderungssperre für „kriminelle Ausländer“.
So wie Trump jetzt Reisende aus Staaten mit Terrorismusproblemen aussperren will. Roosevelt verbot 1902 auch allen Asiaten die Einwanderung, um amerikanische Arbeiter vor Billiglohnkonkurrenz zu schützen. Er beendete die 100 Jahre alte Feindschaft mit dem einstigen Kolonialherren Großbritannien, indem er die umstrittene Grenzziehung zwischen Kanada und einigen Inseln und Halbinseln des südlichen Alaska akzeptierte.
London sollte Washingtons Partner gegen Berlin und Tokio werden. Denkt Trump an die Krim, wenn er über Roosevelt nachsinnt? „Teddy“ – das war der Präsident, der für Amerikas Außenpolitik den Satz prägte: „Sprich sanft und trage einen dicken Knüppel.“ Roosevelt schickte die „Weiße Flotte“ auf eine Welttour, ein Geschwader neuer Schlachtschiffe: Hier, seht, Amerika ist nach dem Bürgerkrieg 1861 bis 1865 stärker denn je. Trump sagt, die US-Marine brauche neue Schiffe.
Während die WELT fast ausnahmslos die Karikatur eines überzeichneten xenophoben Imperialisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts liefert, so ist dies doch nur die halbe Wahrheit. Vermutlich hätte Theodore Roosevelt – der neben dem linksliberalen Liebling Franklin Delano Roosevelt mittlerweile fast vergessen wird – nichts gegen die Bezeichnung „Populist“ eingewendet, galt er doch zeitlebens als volksnah. Ein wahres Kunststück sind daher weniger die aufgezeigten Parallelen zwischen Trump und Roosevelt, als vielmehr die Aussparungen, welche die positiven Seiten beider Charaktere zeichnen.
Roosevelt war vermutlich einer der erfolgreichsten und populärsten Präsideten in der Geschichte der USA. Das zeigt sich nicht zuletzt am erwähnten Kosenamen, der Weltbekanntheit erlangte: Roosevelt verstand es als unehrenhaft, einen kleinen Bären auf der Jagd zu erlegen, den ein Helfer an einen Baum angebunden hatte. Roosevelt schonte das Tier, welches bald als niedlicher Gefährte auf amerikanischen Karikaturen in Gegenwart des Präsidenten ungeheure Beliebtheit erfuhr. Der bald erscheinende Stoffbär machte als „Teddy“ Karriere. Obwohl der reale Teddybär ein schnelles Ende durch das Messer eines Roosevelt’schen Jagdhelfers fand, ist die Geschichte doch symptomatisch dafür, dass man mit diesem Präsidenten eine „Marke“ etabliert hatte. Roosevelt sammelte daheim und in der Welt Prestige für die USA wie nur wenige zuvor.
Denn wenn wir schon beim Oval Office sind: Roosevelt war wie Trump ein Bauherr. Der „West Wing“, jener westliche Trakt des Weißen Hauses, wo sich heute das Büro des Präsidenten befindet, wurde von Roosevelt erdacht und gebaut. Das Oval Office entstand zwar erst unter seinem Nachfolger Taft, aber auch Trump ist jemand, der sich lieber aufs „Grobe“ und die Bauarbeit bezieht als deren Einrichtung. Es sei zudem angemerkt, dass der Schreibtisch Roosevelts der erste Schreibtisch in diesem Oval Office war, und bis 1929 Verwendung fand. Nach einem Feuer am Weihnachtsabend richtete Präsident Hoover das Büro neu ein, welches Franklin D. Roosevelt neuerlich modernisierte; doch bereits Harry S. Truman holte den Roosevelt-Tisch zurück in sein Büro. Erst John F. Kennedy beendete diese Tradition mit der Verwendung des „Resolute-Desk“. Danach stand der Schreibtisch im privaten Präsidentenbüro oder im Eisenhower Executive Office Building, und wurde von einigen Vizepräsidenten benutzt, darunter zuletzt von Dick Cheney. Bis heute ist er der meistgenutzte Schreibtisch der Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und damit ein Symbol amerikanischer Kontinuität und Geschichte.
Die Beschreibung Roosevelts als Flottenbauer insinuiert imperialistische Motive; es evoziert aber ein falsches Bild, wenn es um Weltpolitik geht. „Teddy“ stärkte das Militär, führte sogar einen Krieg, um die Unabhängigkeit Panamas durchzusetzen (samt der damit verbundenen Kontrolle des Kanals); die US-Politik war jedoch vornehmlich auf die westliche Hemisphäre gerichtet. Lateinamerika galt mehr denn je als Vorhof der USA. Außerhalb dessen blieben die Vereinigten Staaten zwar eine Großmacht, mischte sich jedoch in keinerlei militärische Konflikte außerhalb ihrer Einflusssphäre ein. Im Gegenteil: die Dominanz im lateinamerikanischen Territorium hinderte bspw. das Deutsche Reich, das Vereinigte Königreich und Italien eine Invasion Venezuelas vorzubereiten. Die Europäer wollten die Schulden des südamerikanischen Bankrotteurs eintreiben und hatten bereits eine Seeblockade errichtet, sahen aber von einer Intervention ab, als Roosevelt seine eigene Flotte entsendete und die Beteiligten an den Verhandlungstisch zwang. Heißt: eine große Flotte ist vor allem Instrument und Mittel, nicht immer Kriegszweck.
Die Wiederannäherung in Brexit-Zeiten an das einstige Mutterland Großbritannien wird zwar angerissen; nicht aber, dass es Amerika war, welches sich als Unterhändler nach dem Russisch-Japanischen Krieg anbot. Ganz nebenbei wurde ein „Gentlemen’s Agreement“ zwischen Japan und den USA im Zuge dessen geschlossen: die USA verhängten kein Einwanderungsgesetz gegen Japan, wenn dieses im Gegenzug seine Staatsbürger an der Auswanderung hinderte. Soweit zum „asiatischen“ Einwanderungsverbot, das ein „chinesisches“ war. Neben diesen eher auf Verständigung, denn auf Eskalation gerichteten Maßnahmen, verhandelte Roosevelt als „ehrlicher Makler“ zwischen Deutschland und Frankreich in der Marokko-Krise.
Völlig unerwähnt bleibt, dass Theodore Roosevelt aufgrund seiner Vermittlerrolle – namentlich im russisch-japanischen Konflikt – als erster Amerikaner den Friedensnobelpreis erhielt. Ist das Verschweigen dieser lästigen Notiz womöglich die Angst vor möglichen Lorbeeren?
Im Text nur angedeutet, aber nicht zu unterschätzen: Roosevelts Einsatz für die „kleinen Leute“. Einerseits ein Anhänger des freien Marktes, zeigte sich Roosevelt andererseits den großen Konzernen gegenüber skeptisch. Er spottete über die „representatives of predatory wealth“ – zum „Raubtierkapitalismus“ ist es hier nicht weit. Unter der Bezeichnung „Square Deal“ liefen Förderprogramme der Bildung und Einschränkungen der Industriekartelle – zugunsten der Unter- und Mittelschicht. Die Arbeiter sollten besser bezahlt werden und faire Preise bezahlen können, mittlere Unternehmen wurden im Konkurrenzkampf gegen die großen Kartelle und Monopole unterstützt. Großzügig half er den Veteranen der US-Army.
Darüber hinaus stärkte Roosevelt die Rolle des US-Präsidenten, zuvorderst in außenpolitischen Angelegenheiten, aber auch durch seinen außergewöhnlichen Gebrauch der damals noch eher selten verwendeten Executive Orders. Der New Yorker hat das Präsidentenamt erst zu dem gemacht, was es heute ist – auch, weil er öffentlichkeitswirksam auftrat. Er liebte die Medien und erhob seinen Pressesekretär in eine ministergleiche Stellung. Das Wort „Muckracker“ (Nestbeschmutzer) für investigative Journalisten machte dieser Mann, der als Trumps böser Vorgänger gehandelt wird, erst in der Öffentlichkeit salonfähig.
Das alles kann man als „populistisch“ bezeichnen. Ja, Roosevelt inszenierte sich als Cowboy, als Mann mit dem „dicken Knüppel“, zelebrierte Männlichkeitsideale in der Jagd und war vermutlich das, was man eine Ikone der damaligen Popkultur bezeichnen könnte. Aber es ist eben nicht Adams, Jackson, Franklin, Grant oder Wilson, der als viertes Gesicht den Mount Rushmore ziert, sondern das von Roosevelt, der damit länger im Gedächtnis bleiben wird als die Kennedys, Carters und Obamas dieser Welt.
Auch hier wieder die Ironie der Geschichte: wer Trump mit Roosevelt gleichsetzt, erweist ihm damit ein Kompliment. Gründe genug für letztere gäbe es, sollte der Immobilienmogul „Teddy“ tatsächlich nacheifern. Bereits jetzt ähnelt Trump seinem New Yorker Vorgänger auf fast unheimliche Weise, besonders, wenn wir daran denken, dass Roosevelt immer wieder die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft anprangerte, und schon damals den Sumpf austrocknen wollte:
Diese unsichtbare Herrschaft zu zerschlagen, die unheilige Allianz zwischen korrupter Wirtschaft und korrupter Politik aufzulösen, ist die erste Pflicht staatsmännischen Handelns unserer Tage.
Das Diktum entstammt der Programmschrift der „Progressive Party“, die Roosevelt zwar erst nach seiner Präsidentschaft gründete; sie repräsentiert aber bereits den vorherigen Politikstil und ist bezeichnend für jene „Progressive Era“ in den USA, als man gegen Korruption und Monopolisten vorging. Die Zerschlagung von Rockefellers „Standard Oil“ ist dabei der berühmteste Fall – sein Nachfolger William Howard Taft führte hier das 1911 aus, wozu Roosevelt 1906 den Grundstein gelegt hatte.
Die Demokraten haben die neokonservativen Elemente der Bush-Administration unter Obama übernommen – könnte es sein, dass Donald J. Trump als „Progressiver Republikaner“ der Gegenwart die alte Agenda der Demokraten für sich übernimmt? Vielleicht ist das zu hoch gegriffen; vielleicht ist es genau das, was Trump will. Vorerst bleibt es das Geheimnis des neuen US-Präsidenten – und einer kleinen Statue des „Rough Rider“ im Buchregal des Oval Office.