Ein Gastbeitrag von Meike Katharina Gallina.
„Mode ist nichts, was nur in der Kleidung existiert. Mode ist in der Luft, auf der Straße. Mode hat etwas mit Ideen zu tun, mit der Art wie wir leben, mit dem, was passiert.“ Dass Mode mehr ist als das Material, mit dem wir uns vor Wetter schützen und auch mehr als die Kleidung, die uns schmeichelt oder unförmig wirken lässt, weiß nicht nur Coco Chanel. Dass Mode unserem Gegenüber – ob wir wollen oder nicht – sagt, wer und wie wir sind, ist auch keine Neuigkeit. Wenn jemand seine Kleidung so wählt, dass sie in größtmöglicher Resonanz zu seinem Wesen steht, sprechen wir von Stil. Und da heutzutage alles politisch ist, ist natürlich auch Mode politisch. Nichtmal so sehr in dem Sinne, dass auch bessere Designer sich derzeit genötigt oder eingeladen sehen, ihre Machwerke mit gesellschaftspolitischen Botschaften zu schmücken – man denke etwa an das „Queer“-Shirt von Ashish, dass sich nur noch preislich von Motto-T-Shirts aus dem EMP-Katalog unterscheidet oder das koreanische Label „Blindness“, das sich Genderneutralität auf die Fahnen und ihren Hemden auf die Brust geschrieben hat – sondern schlicht darin, dass bestimmte Kleidung zu bestimmten Anlässen getragen natürlich eine bestimmte Wirkung hat. So weit, so trivial.
Natürlich ist der Begriff des Politischen hier wenig am Platz und viel eher sollte von Weltanschauung oder Lebensart gesprochen werden, aber der Zeitgeist verlangt Gehorsam und so soll die inhaltliche Kategorie des Politischen mit der organisch-wesenhaften der Einstellung wieder einmal verwechselt werden. Jennifer Wiebking ist Modejournalistin bei der FAZ und hat Melania Trump am 6. November in einem längeren Artikel als „First Lady der textilen Unverschämtheiten“ bezeichnet. Der Artikel listet die modischen Fehlgriffe der First Lady auf – allerdings nicht anhand stilistischer Kritikpunkte, sondern politischer. Soviel Konstruktivismus im Modejournalismus ist mir zumindest neu, aber die Bastionen der politischen Freiheit fallen ja täglich. Die Autorin sieht sich zu dem Zugeständnis genötigt, dass die Kleiderauswahl der First Lady nicht aus Stilgründen zu beanstanden sei. In meinem Verständnis hat sich die Diskussion an dieser Stelle im Grunde erledigt, ging ich doch davon aus, dass Kleiderkritik sich vorrangig aus Stilkritik speist. Der Spin „Vollendet elegant, aber politisch unpassend“ ist mir ganz neu. Im Hinterkopf sollte man haben, dass die Vorgängerin der jetzigen First Lady von den Medien einhellig zur Stilikone erklärt wurde. So ziemlich jedes Kleid wurde mit Begeisterung kommentiert. Das Stilbewusstsein und das modische Geschick Michelle Obamas sind als einmalig in die Geschichte eingegangen, Jacky Kennedy oder Nancy Reagan sind dagegen vergleichsweise unbedeutend.
— Meike (@Meike_1683) 27. November 2018
Im Mittelalter herrschte als Denkmodell die Korrespondenztheorie vor, die besagte, dass äußere und innere Schönheit korrespondiere. Gute Menschen seien entsprechend schön und böse hässlich und natürlich umgekehrt, schöne gut und hässliche schlecht. Klingt albern, ist aber en vogue. Da Michelle Obama unumstritten die Königin der Herzen ist, sieht sie notwendig hinreißend aus. Da Melania Trump, die den medialen Fehler beging, nicht wie verlangt zu sagen, dass sie in ihrer Ehe mit dem Tyrannen Donald kreuzunglücklich ist und darum den angebotenen Opferstatus verloren hat, im Mainstream weniger beliebt ist, ist sie notwendig unattraktiv. Ärgerlich, dass sie hinreißend aussieht und es völlig unmöglich ist, ihr Stillosigkeit oder schlechten Geschmack vorzuwerfen. Bleibt nur die Moralisierung der Kleiderfrage. Denn, um noch einmal Coco Chanel zu bemühen: „Eleganz ist Verweigerung“. Weder modisch noch in ihren Handlungen bietet die First Lady Angriffsfläche. Also wird die fehlende Angriffsfläche zur selben und ihre Abwesenheit wird mokiert.
Nachdem das Thema fertig war, nun also die Zusammenfassung ihrer kleiderpolitischen Fehlgriffe. Als erstes natürlich ihre hohen Schuhe im Hochwassergebiet in Texas. Katastrophe. Was fällt dieser Frau ein, sich nur, weil alle Kameras der Welt auf sie gerichtet sind, entsprechend anzuziehen? Das ist der Grundtenor aller Kritik. Danach wird ihr Valentino-Rock beim Umgraben im Vorgarten des Weißen Hauses kommentiert. Der einzige Skandal wäre, wenn sie in diesem Rock und den Pumps dazu tatsächlich Gartenarbeit betrieben hätte, zumindest für Modeliebhaber, denen der Anblick von erdverkrusteten Louboutin-Pumps Tränen in die Augen treiben dürfte. Hat sie aber nicht. Ihr vorzuwerfen, sie erscheine zu einem Fototermin wie zu einem Fototermin angezogen, ist doch etwas dünn. Und dann die Jacke mit dem „Really don’t care – Do you?“-Aufdruck beim Ein- und Aussteigen in das Flugzeug auf dem Weg zu und von einem Flüchtlingsheim an der mexikanischen Grenze. Übrigens nicht im Flüchtlingsheim, die First Lady hat auf Nachfrage den Adressaten der Botschaft klar mitgeteilt: die Presse.
Gute vs. böse Königin Part I pic.twitter.com/Ob39J8fE8N
— Meike (@Meike_1683) 27. November 2018
Ihr ist nämlich nicht entgangen, dass sie machen kann, was sie will und es nicht recht ist. Provokationen nehmen da kaum Wunder und es zeugt von Damenhaftigkeit, Grandezza und Humor das Geschimpfe nur mit einer Jacke zu quittieren. Sie erinnern sich, dass sie eine Rede Michelle Obamas wörtlich wiederholt hat und für diese durch die Bank verspottet wurde, während ihre Vorrednerin über alle Maße bejubelt wurde. „Andere Menschen in ihrer Ehre zu verletzen: Klar, dass das überhaupt mit Mode und allem, was dazugehört, geht, ist auch symptomatisch für das übersensible Klima dieser Tage. Vor allem für die Wächter in den sozialen Medien sind längst nicht mehr nur kopierte Doktorarbeiten oder schlimme Sprüche Anlass für einen Shitstorm. Besonders andere Kulturen sind dünnes Eis, und das gerade in den Vereinigten Staaten: Da ist die High-School-Absolventin aus Utah, der, ohne dass sie asiatische Wurzeln aufweisen konnte, im Frühjahr dieses Jahres einfiel, in einem Kimono-Kleid zum Abschlussball zu gehen; oder die NBC-Moderatorin Megyn Kelly, der jetzt ihre „Today“-Show entzogen wurde, nachdem sie vergangene Woche den Halloween-Brauch des Blackfacing – also Weiße, die sich dunkel schminken – verteidigt hatte; oder bei den Modewochen in jeder Saison mindestens ein Designer, der mehr entwirft als die Landestracht, die ihm angeblich zusteht. Auch für Designer/Prominente/Menschen, die ein Foto von sich bei Facebook/Twitter/Instagram teilen, gilt heute ein zunehmend strenges Protokoll.“
Es fragt sich doch, wieso die Autorin hier nicht den Schluss zieht, dass ein übersensibles Klima eben ein übersensibles Klima ist, um das sich Normalsterbliche nicht weiter kümmern brauchen, sondern diese Regeln als allgemeingültig voraussetzt. Hier wird ein vorrangig um Jacken und Hüte kreisender Artikel zum Exempel dafür, mit welcher Leichtigkeit Denkgebote angenommen werden. Und offenbar hat sie als Modejournalistin das Bedürfnis gehabt, ihr Bekenntnis zum neuen Denken und zu neuen Normen zu formulieren. Aber am falschen Sujet. Eine Stilkritik auf der Grundlage des Stil-Zugeständnisses ist ohnehin schwierig. Für die Modebeanstandung dann nicht ein einziges modisches Beispiel anbringen zu können, sondern nur die Bedeutung der Mode im Arsenal zu haben – kann nicht funktionieren. Und schließlich das Scheitern des Vorhabens noch selbst formulieren: „Denn Melania Trump liefert oft genug den Bildbeweis für die Version von Politik, die der Gatte macht. Es ist auch die alte Rollenverteilung, die hier greift, nur eben nach Art des Ehepaares Trump. Was dann zuverlässig folgt, ist allgemeine Aufregung: „Oh Gott, die High Heels! Dieser Hut! Der Parka!“
— Meike (@Meike_1683) November 27, 2018
Wenn die Einschätzung der Expertin stimmt, dann macht Melania Trump alles richtig. Es allein über Mode zu schaffen, das Spiegelbild der Politik ihres Gatten zu sein – strategisch unschlagbar. Ohne Worte und biedere Kittel die traditionelle Rollenverteilung zu feiern – ihr gebührt Dank. Zuverlässig die geplanten Reaktionen ernten – um zu enden, wie ich begonnen habe, mit Coco Chanel: „Mode ist vergänglich. Stil niemals.“