Sitzt Benedikt im Goldenen Käfig?

18. März 2018
Kategorie: Freiheit | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Ironie | Medien | Non enim sciunt quid faciunt

Zu weiteren Hintergrundinformationen verweise ich auf die Berichte von kath.net, und zwar hier zur Veröffentlichung, hier zur Manipulation, hier zu den Fake-News. Die deutsche Übersetzung der Benedikt-Briefe wurde übernommen.

Die Woche war von einer merkwürdigen Aneinanderreihung der Pressemitteilungen vonseiten der Kurie geprägt. Anlass war die Veröffentlichung elf kleiner Bände, welche die Theologie des amtierenden Papstes zusammenfassen sollten. Urheber war nicht Franziskus selbst, sondern verschiedene Theologen. Sie sollten das fünfjährige Jubiläum des argentinischen Pontifikats krönen.

Dazu landete man einen echten Coup. Benedikt XVI. meldete sich zu Wort. Man hatte ihn bezüglich einer Stellungnahme angefragt. In einem Brief hob Ratzinger hervor:

»Ich begrüße diese Initiative, die dem törichten Vorurteil widersprechen und gegensteuern will, wonach Papst Franziskus nur ein Mann der Praxis ohne spezielle theologische oder philosophische Bildung wäre, wohingegen ich nur ein Theoretiker der Theologie mit wenig Verständnis des konkreten Lebens eines zeitgenössischen Christen gewesen wäre.
Die kleinen Bände zeigen zu Recht, dass Papst Franziskus ein Mann von tiefer philosophischer und theologischer Bildung ist und helfen dadurch, die innere Kontinuität zwischen den beiden Pontifikaten aufzuzeigen, trotz aller Unterschiede in Stil und Temperament.«

In einer zerstrittenen Kirche, in der bis heute eine Post-Benedikt-Generation mit einer Franziskusfraktion streitet, waren das wichtige Worte. Die Einheit beider Pontifikate wurde betont. Und: Ratzinger ist und bleibt wohl der bedeutendste Theologe der Nachkriegszeit, bis in unsere Tage hinein. Seine Worte haben also enormes Gewicht.

Doch dann wurde klar: der Vatikan hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt. Der Brief ging weiter. Auf einem Foto zeigte sich eine verschwommene weitere Zeile unter den verlautbarten Absätzen. Eine weitere Seite lag unter einem Bücherstapel. Warum die Scharade?

Wie später zugegeben werden musste, war das nicht der einzige Inhalt der Briefe. Tatsächlich war der Eingangsabsatz eine übliche, allgemeine Höflichkeitsfloskel, nur, um dann auf den eigentlichen Inhalt zu verweisen: Benedikt hatte die Bände gar nicht gelesen.

»Trotzdem möchte ich keine kurze und dichte theologische Bemerkung zu ihnen schreiben, denn mein ganzes Leben habe ich es immer so gehalten, dass ich mich nur zu Büchern äußerte, die ich wirklich gut gelesen hatte. Unglücklicherweise bin ich, auch aus körperlichen Gründen, unfähig, die elf Bände in naher Zukunft zu lesen, obendrein warten noch andere Verpflichtungen auf mich, die ich bereits eingegangen bin.«

In dem Zusammenhang gelesen hat Benedikt obige Äußerung gar nichts mit den Franziskus-Büchern zu tun. Der Unmut wuchs, was war mit der anderen Briefseite, warum das Katz- und Mausspiel? Diese Art der Verlautbarungen hatte mehr mit der Salami-Taktik der Bundesregierung und anderer öffentlicher Stellen nach 2015 gemein, als mit dem seriösen Duktus der Kurie.

Am Samstagabend platzte dann die Bombe: Benedikt hatte nicht nur geschrieben, dass er die elf Bücher nicht gelesen hatte, sondern warnte explizit vor einem der Autoren darin:

»Nur am Rande möchte ich meiner Überraschung über die Tatsache Ausdruck verleihen, dass unter den Autoren auch Professor Hünermann ist, der sich während meines Pontifikates damit hervorgetan hat, führende antipäpstliche Initiativen zu unterstützen. Er spielte eine relevante Rolle bei der Veröffentlichung der ‚Kölner Erklärung‘, welche im Zusammenhang mit der Enzyklika ‚Veritatis splendor‘ das päpstliche Lehramt massiv attackierte, besonders in Fragen der Moraltheologie. Ebenso war die „Europäische Theologengesellschaft“, die er gegründet hat, von ihm ursprünglich als eine Organisation der Opposition zum Päpstlichen Lehramt gedacht gewesen. Später hat das kirchliche Empfinden vieler Theologen diese Orientierung verhindert und ermöglicht, dass diese Organisation ein normales Instrument der Begegnung zwischen Theologen wurde.«

Wir halten fest: ein Brief Benedikts, der dreimal veröffentlicht werden musste, weil anfangs zensiert und schlussendlich eine direkte Kritik an der Auswahl der Theologen für die Franziskusbücher war. So deutlich äußert sich Ratzinger selten, der doch mit dem römischen Alltag nichts mehr zu tun haben will. Kurz gesagt: ihr habt euch mit dem Hünermann ein faules Ei ins Boot geholt, der eher antikatholischen Umtrieben nachging, als fruchtbare Arbeit zu leisten. Die Gesellschaft mag heute rehabilitiert sein, aber die Person dahinter sieht Benedikt als „antipäpstlich“ an. Das alles natürlich immer im freundlich-weichen Tonfall, den wir vom Papa emeritus gewohnt sind.

Statt dass nun ernsthafte Fragen an die Pressestellen des Vatikans laut werden, stürzen sich einige angebliche christliche Journalisten sofort auf den Greis von Mater Ecclesiae. Es zeigt, wie einige Wunden immer noch nicht verheilt sind und wie ein Opfer zum Täter umgedeutet wird:

Es gibt bei der Kritik an Benedikt allerdings einige Dinge zu beachten.

Primo: Benedikt hat sich nicht selbst zu Wort gemeldet. Man hat den Theologen Ratzinger um seine Meinung gebeten. Die Initiative ging also von anderen aus. Der emeritierte Papst antwortete nach Bedenkzeit.

Secundo: Benedikt hat seine Antwort als Privatschreiben formuliert (personale riservata). Es war also nicht als öffentliches Schreiben bestimmt. Bereits hier weicht die Politik des Vatikans vom Wunsch des zurückgezogenen Ratzinger ab. Wer das Pontifikat des letzteren etwas beobachtet hat, weiß, dass er nie dazu neigte, großes Aufsehen erregen zu wollen.

Tertio: Eben deswegen ist der letzte Paragraph umso relevanter. Wenn ein Meister der leisen Töne seine Bedenken bezüglich eines bestimmten Theologen so artikuliert, muss das einen Grund haben. Soll man wirklich von Benedikt in einem internen Schreiben (!) verlangen, dass er auch da zu schweigen habe, was seine Beweggründe sind? Das wäre lächerlich.

Quarto: Der Vatikan war nicht gezwungen, die Privatmitteilung eines emeritierten Papstes zu veröffentlichen. Man hat es dennoch getan, weil man gewisse Teile des Briefes herausstellen wollte.

Quinto: Dass damit der positive Befund allein erwähnt worden ist, aber eben nicht der kritische Inhalt, begründet der Vatikan damit, dass der erste Absatz mit der Sache zu tun hätte, der andere Teil nicht. Das ist unrichtig. Denn der zweite Absatz, der zurückgehalten wurde, enthält die entscheidende Passage, dass Benedikt die Bände gar nicht gelesen hat. Wenn ich eine Buchvorstellung mache, und die Absage eines Experten zur Lesung bekomme, reicht es nicht, einfach zu sagen, dass der Experte den Autor prinzipiell ganz ok findet. Insofern ist der relevante Teil im Bezug auf die Bände zu Bergoglios Theologie tatsächlich der zweite Paragraph und nicht der erste.

Sexto: Der Vatikan hat daher mit seiner ersten Veröffentlichung den falschen Eindruck erweckt, Benedikt habe die Bände gelesen. Das ist eine Falschdarstellung bzw. das, was man neudeutsch Fake-News nennt. Und vorher ist die Nachricht durch einige Hände gegangen, wurde geprüft. Das muss man klar festhalten.

Septimo: Nicht genug, dass der Vatikan quasi die Hälfte des eigentlichen Briefes zurückhielt, er schien von Anfang an zu wissen, dass das nicht ganz korrekt war. Die kuriose „Verwaschung“ der nachfolgenden Textpassage auf einem Foto sieht fast nach einem schlechten Gewissen aus, das man selbst beruhigen will.

[Septimo Alpha: Für mich als Katholiken stellt sich aber eher die Frage, warum eine so reiche Organisation keinen ordentlichen Fälscher bestellen kann. So einen Pfusch hätte man sich im 16. Jahrhundert nicht erlaubt. Auf welchem Niveau sind wir angekommen, wenn selbst die fiesen fetten Säcke im Vatikan so offensichtlich schlecht arbeiten? Die Schreiber der Konstantinischen Schenkung drehen sich im Grabe um.]

Octavo: Die Salamischeiben-Taktik wirkt nicht nur im Nachhinein unprofessionell. Der Vatikan bleibt bei dieser sich selbst schadenden Informationspolitik. So findet man auf der Webseite von Vatikan News (der neuen, mehrsprachigen Webseite des Vatikans) eine den gesunden Menschenverstand beleidigende Mitteilung. Dort wird von den fehlenden Passagen gesprochen, diese aber weder zitiert noch übersetzt. Wir sehen nur ein Foto der beiden Briefseiten. Ohne Italienischkenntnisse ist man aufgeschmissen. Und selbst wenn man der italienischen Sprache mächtig ist, hat man Mühe, die JPG-Datei zu lesen.

Ich möchte an der Stelle keine weiteren Spekulationen anstellen. Man kann sich damit beruhigen, dass die älteste globale Organisation der Menschheit eine miese Presseabteilung mit dilettantischen Vertretern unterhält. Aber dafür hatte die ganze Aktion doch ein sehr unfeines Geschmäckle, insbesondere in die Richtung jener, die bis heute mehr mit dem Papa emeritus als so manch anderem Kirchenvertreter anfangen können. Die Gräben, die in der Kirche seit Jahren aufgerissen wurden, werden eher vertieft als zugeschüttet. Und nicht nur Gläubige dürften sich fragen, inwiefern Ratzinger unter der Kontrolle der jetzigen Kirchenführung steht. Nicht wenige werden sich in ihrem Bild bestätigt sehen, dass Benedikt im Goldenen Käfig des Vatikans sitzt.

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