Die vielen Verstrickungen der letzten Tage haben diesen Text vom eigentlichen Kontext getrennt. Ich werde es dennoch unternehmen, vermutlich gerade weil die Sache höhere Wogen schlug als ich vermutet hätte.
Wir bleiben einen Moment bei Thomas und seiner Kritik des Islams. Sie ist nämlich auch ein Zeugnis mittelalterlicher Mentalität und mittelalterlicher Logik. Das wirkt auf den heutigen Menschen manchmal obskur: denn eigentlich ordnet man dem Mittelalter ja eher einen mystisch-irrationalen Ruf zu. Die Scholastik, die Denkschule des Hochmittelalters, die Aristoteles‘ Denkmodelle wiederbelebt, ist aber aus ihrer Perspektive völlig rational, wenn auch in ihren Gedankengängen fremd.
Wie meine ich das? Bei Thomas bricht sich Logik und Mentalität. Das wird an einer Aussage ganz deutlich:
Er hat keine Zeichen auf eine übernatürliche Weise [Wunder] gewirkt, was der einzig angemessene Beleg für eine göttliche Eingebung bei einem Lehrer der göttlichen Wahrheit [Prophet] ist.
Für den Gelehrten des Mittelalters sind Wunder logisch und faktisch. Gott existiert. Also ist es logisch, dass er durch Wunder, Propheten und den Heiligen Geist wirkt – nicht nur in der biblischen Geschichte. Während man heute die Religion eher kritisiert, weil es keine Beweise für Wunder gibt, sind eben diese Wunder der Beweis für die Religion. Diese mittelalterliche Rationalität ist bei Thomas nicht mystisch, sondern zwingend: eben weil Mohammed kein Wunder gewirkt hat, ist er nicht mit Jesus zu vergleichen. Auch die jüdischen Propheten des Alten Testamentes haben göttliche Eingebung und Kontakt zu Gott besessen, weil sie Gott anriefen und dieser darauf Wunder tat: man denke an Elija auf dem Berg Karmel.
Und nicht zuletzt: Christus wird bereits im Judentum als der Erlöser der Menschheit angekündigt. Die Zeichen des Neuen Testaments bereitet das Alte Testament vor. Von Mohammed und seinen Ideen steht in den Büchern nichts geschrieben, der Koran ist für Thomas eine Fälschung, ein Sammelsurium von Texten, die das weglassen oder hinzufügen, was dem Verfasser passt.
Im Gegenteil sagte Mohammed, dass er mit der Macht seiner Waffen gesandt wurde – und das sind Zeichen, an denen es nicht einmal Räubern und Tyrannen mangelt.
Mohammed ist deswegen für Thomas ein ganz und gar „weltlicher“ Mann, ohne eine Bindung zu Gott. Weil er aber nicht die Hilfe Gottes hatte, musste er sich unweigerlich der Lüge, des Krieges und der „fleischlichen Begierden“ bedienen. Das ist für Thomas der Skandal: der Islam ist im Grunde nicht spirituell, er ist eigentlich materialistisch und in letzter Hinsicht politisch. Das hat der Gelehrte aus Aquino schon vor mehr als 700 Jahren hier prognostiziert.
Was Beweise für die Wahrheit seiner Lehre angeht, hat er nur solche genannt, die ein jeder mit seinem natürlichen Vermögen verstehen kann, der über nur sehr wenig Geist verfügt.
Während das Christentum das „Höhere“, das „Geistige“ sucht und sich auch vom „Nichtverstehbaren“ faszinieren lässt – ist der Islam nach der Ansicht des Scholastikers eine Religion für Dumme. Das Christentum besticht auch durch seine Komplexität, die sich (zuerst) nicht jedem erschließt. Mohammed bedient sich der niederen menschlichen Instinkte, das ist sein Erfolg. Das Christentum: der Bildungskanal; der Islam: Unterschichtenfernsehen. Der Islam gewinnt durch Leichtgläubigkeit.
Man beachte auch hier: Mohammeds Religion ist eine Sekte und – unausgesprochen, aber intendiert – eine christliche Sekte.
Mal wieder.