Beethovens Credo

13. Juni 2016
Kategorie: Beethoven | Europa | Freiheit | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Italianità und Deutschtum | Musik

Ludwig van Beethovens Verhältnis zur Religion ist ein endloses Thema. Gesichert ist: der Komponist stand der Amtskirche äußerst skeptisch gegenüber. Kirchgänge sind so gut wie keine verbürgt. Eine Anekdote erzählt, noch auf seinem Sterbebett hätte Beethoven nach Erhalt des Sterbesakraments ironisch applaudiert – und verwies damit auf Kaiser Augustus‘ berühmtes „Plaudite amici, comedia finita est!“ Mittlerweile konnte diese Erzählung zwar widerlegt werden,* aber sie entspricht dem Bild, das bezüglich des Meisters der großen europäischen Sinfonien kursierte. Josef Haydn, praktizierender Katholik und eifriger Rosenkranzbeter sollte seinen talentiertesten Schüler gar einen „Atheisten“ schimpfen.

Der maßgebliche Punkt bei Beethovens Ansichten ist sein von aufgeklärten und demokratischen Idealen geprägtes Weltbild. Weniger die Kirche als solche, als prinzipiell jede Art von Autorität waren ihm zuwider – seine adligen Gönner und Bekannten hatten darunter im Übrigen weitaus mehr zu leiden als der Klerus. Gleichzeitig hatten Fürsten wie Bischöfe aber keinerlei Berührungsängste mit dem Freigeist; Künstlerfreiheit war damals noch ein unausgesprochenes Privileg, das man (noch) nicht wegen falscher politischer Gesinnung verlor. Für grandiose Musik nahm man auch die eine oder andere Marotte in Kauf.

Eines dieser Auftragswerke war die Messe in C-Dur, die nach der – später erschienen – Missa Solemnis als Beethovens wichtigstes sakrales Musikwerk gilt. In ihr atmet noch ganz Haydns Geist; und man mag meinen, auch dessen christliches Weltbild. Von angeblichen atheistischen Strömungen, naturgeistiger Auffassung – wie sie um 1800 unter Philosophen weit verbreitet war – oder gar protestantischen Gesinnungen, wie sie Beethoven in seiner Gottesbeziehung unterstellt wurden, hört man in dieser wenig heraus. Besonders das Credo, also der Dreh- und Angelpunkt des christlichen Gottesbekenntnisses, sticht dabei heraus;

Es existiert nicht nur der „eine Beethoven“. Da ist noch ein zweiter, neben dem rabiaten Radikalen, der alle Adligen aufknüpfen wollte; eine zutiefst spirituelle Seele, der die Schöpfung auf seinen Waldspaziergängen bewunderte und der in just jenen Jahren erfahren musste, dass er bald völlig ertauben sollte. Noch 5 Jahre vor der Messe in C-Dur hatte der Bonner Komponist mit Selbstmordgedanken gespielt, sein Schicksal als Martyrium begriffen. Der „Allmächtige“ tritt seitdem in seinen Briefen häufiger auf. Auch das ist für viele ein Beleg, dass Beethoven nur „Deist“ war.

Natürlich: da klingt zwischen dem glorreichen patrem omnipotentem auch eine feine Ironie durch, wenn mehrmals genitum wiederholt wird, und mit einer kleinen Pause ein non factum folgt, so, als nähme der Meister den gesamten Streit zwischen Arianern und Trinitariern auf. Aber wer mag nicht beim dunklen Adagio, begleitet vom klagenden passus an den schmerzhaften Weg der Via Dolorosa denken? Und geht es in seinem Ton nicht bis in die Tiefen der Hölle hinein? Kann man dergleichen als gottesfernen Mensch in solcher Erhabenheit komponieren, ohne selbst davon angetan zu sein?

Kommt im gewaltigen, triumphalen resurrexit, das mit seinen musikalischen Schwingungen des ascendit bis zu den himmlischen Höhen auf(er)steht, wirklich Beethovens Ansicht durch, Jesus sei nur ein gekreuzigter Jude gewesen, wie ihm nachgesagt wird? Soll das wirklich die Interpretation sein? Oder ist es nicht eher so, dass Beethoven, der mit seiner Ertaubung das schlimmste Leid eines Musikers erfahren durfte – gerade dadurch Zugang zum Martyrium Christi fand, und ebenso an eine eigene Erlösung glaubte?

Vielleicht war Beethoven kein Katholik. Das mag man anhand eines einzelnen musikalischen Stücks nicht bewerten wollen. Aber sein Credo ist in all seiner Pracht, seiner schöpfungsbejahenden Größe und seinen wallenden Klangkörpern zutiefst katholisch; es ist das tongeborene „Ja!“ zum Glaubensbekenntnis und schreit: Amen, Amen, Amen!

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*In der Tat waren Beethovens letzte Worte „Schade, schade – zu spät, leider zu spät!“, womit er sich auf die Weinlieferung des Tages bezog, die er aufgrund seines Ablebens verpassen würde. Im Übrigen eine Angelegenheit, die den Rheinländer deutlich sympathischer macht als das erfundene Ende.

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