Armin Schwibach hat auf kath.net einen lesenswerten Artikel zu den Kreuzzügen verfasst, der mit einigen Vorurteilen und Mythen aufräumt. Insgesamt ein gelungener Beitrag, der meine Zustimmung findet. Insbesondere auch deswegen schön, weil wir ja erst kürzlich das Thema des „wehrhaften Christen“ hatten.
Allerdings gibt es einen Punkt, dem ich widersprechen möchte. Es handelt sich nämlich um die Quintessenz:
Es sollte somit vorrangiges Anliegen sein, das Phänomen zu begreifen: als einen großen Misserfolg in der Geschichte des Christentums mit schweren Folgen aufgrund seiner ideologischen Verzerrung. „Die Aprikose scheint der einzige Vorteil zu sein, den die Kreuzzüge dem Westen gebracht haben“, meinte ironisch Jacques Le Goff in „Die Geburt Europas im Mittelalter“. Die Zahl der Nachteile ist bedeutend höher. Es ist gewiss nicht überspitzt formuliert, dass die Kreuzzüge in der Gegenwart der Grund für mehr Opfern sind oder sein können als sie dies in ihrer Zeit waren. Juden und Christen: sie sind das Hauptziel der „Weltfront des Islam für den Heiligen Krieg“.
Schwibach zeichnet hier richtigerweise eine Linie des Kreuzzugsarguments, das heute von Islamisten (und nicht nur denen!) verwendet werden kann, um im Huntington’schen „Clash of Civilizations“ von heute gegen die Christen zu opponieren. Einzig: ich entgegne, dass es dazu keinerlei Kreuzzüge gebraucht hätte.
Als Machiavellist behaupte ich, dass man sich so oder so seine Argumente zurechtgelegt hätte. Die Türken jedenfalls brauchten keine Kreuzzugsargumentation, um das christliche Kleinasien, Konstantinopel, und den Balkan bis nach Wien zu unterwerfen. Das Konzept des „Goldenen Apfels“, der je nach Verlangen wandert, spielte dabei eine viel größere Rolle. Kaum hatte man den Goldenen Apfel von Konstantinopel erworben, war Belgrad der Goldene Apfel; kaum war Belgrad gefallen, wurde Wien der Goldene Apfel. An dem biss man sich erfreulicherweise zweimal die Zähne aus.
Gerade die radikalen Islamisten berufen sich auf den Koran, der prophezeit, dass Rom an den Islam fallen würde. Allgemeinhin nahm die muslimische Welt an, dass diese sich mit der Eroberung Konstantinopels erfüllt hätte, denn zu Mohammeds Zeiten hatte das Neue Rom am Bosporus dem alten Rom am Tiber längst den Rang abgelaufen. Salafisten und IS-Kämpfer interpretieren diese Stelle aber wortwörtlich. Das heißt: die Sehnsucht nach dem Sturz Roms, dem Zentrum der Katholischen Christenheit, ist auch so gegeben.
Von diesem Ziel aus gedacht hätten die heutigen Menschenschlächter keine Skrupel, auch andere Legenden „aufeinanderzureimen“, hätte es keine Kreuzzüge gegeben. Ich möchte zudem anmerken, dass es ja nicht nur Kriege im Heiligen Land, sondern auch auf der Iberischen Halbinsel gab, im Zuge der Reconquista. Von radikalislamischen Kreisen wird bis heute „Al-Andalus“ als Teil der islamischen Welt gehandelt, das dem Neuen Kalifat wieder unterworfen werden müsste. Denn in Spanien waren diese kreuzzuugsähnlichen Kriege – wie man in Sevilla und Granada beobachten kann – durchweg erfolgreich.
Im Übrigen hatten die erst neulich erwähnten Kriegszüge der Pisaner gegen die Sarazenen im Mittelmeer Kreuzzugscharakter. Sardinien ist so ein Beispiel, bei dem der Papst den Pisanern (und Genuesen) Teile der Insel in Aussicht stellte, wenn man die Sarazenen aufhielt oder – wie auf Mallorca – vertrieb. Allein die verschiedenen spanischen Ritterorden, die den Kreuzzugsorden frappierend ähneln, zeigen auf, dass die Reconquista als Heiliger Krieg galt, bei dem Christen aus den verschiedensten Teilen Europas hinzustießen, um die iberische Halbinsel von den Muslimen zu befreien.
Insofern mein Plädoyer: auch ohne die Feldzüge im Heiligen Land hätte man genug Motive gehabt, um der Christenheit irgendwie einen Strick daraus zu binden. Allein deswegen, weil die westlichen Expeditionen im Namen des Kreuzes erfolgreich waren und den Grundstein für die Weltmacht Spanien legten, die wie keine andere den Muslimen das Fürchten lehrte und unter anderen Vorzeichen vermutlich auch tief(er) nach Nordafrika gestoßen wäre.