Ninive

12. Dezember 2015
Kategorie: Antike | Historisches | Zum Tage

12. Dezember 627: Die Byzantiner unter Kaiser Herakleios siegen in der Schlacht bei Ninive über die Sassaniden unter dem General Rhazates, der im Kampf fällt. Die Schlacht entscheidet den letzten römisch-persischen Krieg zugunsten von Ostrom/Byzanz.

Ninive ist als Name vermutlich nur noch einigen wenigen geläufig, die vom Assyrischen Reich und dessen gleichnamiger Hauptstadt wissen. Ninive behielt aber auch noch in alexandrinischer und seleukidischer Zeit eine gewisse Bedeutung. Anschließend kamen die Römer, für die der östliche Teil ihres Reiches immer wichtiger wurde. Syrien, Ägypten und Kleinasien galten als reichste Provinzen. Niederschlag erfuhr diese Entwicklung in der Verlegung der Reichshauptstadt unter Kaiser Konstantin an den Bosporus. Doch mit dem Blick nach Osten war den Römern seit der Zeit der späten Republik (1. Jahrhundert v. Chr.) ein mächtiger und ebenbürtiger Feind erstanden, mit dem Rom über Jahrhunderte im Streit lag.

Die Parther, deren Reich sich vom Zweistromland, dem Kaukasus und Persien bis hin zum Hindukusch erstreckte, waren zum Erzfeind der Römer geworden. Über Jahrhunderte lieferten sich beide Großreiche verheerende Kämpfe. Crassus, Marcus Antonius, Nero, Trajan, Lucius Verrus (unter Marc Aurel), Septimius Severus und Caracalla führten „Partherfeldzüge“ – eine Zeitspanne von 60 v. Chr. bis 218 n. Chr! Meistens führten diese zu keinem Ergebnis, weder auf der römischen, noch auf der parthischen Seite.

Umkämpft waren die gebirgigen Gebiete Armeniens, welche die strategische Kontrolle über die Region ermöglichte, sowie das fruchtbare und reiche Zweistromland. Einzig Trajan (114-117) konnte vorzeigbare Erfolge aufweisen, als unter ihm das Römerreich seine größte Ausdehnung erfuhr, Armenien und Mesopotamien Provinzen wurden und der Kaiser den Parthern entscheidende Niederlagen zufügte. Unter Trajans Nachfolger Hadrian war man um Frieden und gute Beziehungen bemüht, um die Kapazitäten des Imperiums nicht zu überstrapazieren. Man einigte sich auf den Euphrat als Grenze.

Mitte des 3. Jahrhunderts geriet Rom in eine wirtschaftliche und politische Krise. Die Parther konnten dies aufgrund eines Bürgerkriegs nicht sofort ausnutzen. Der persische Fürst Ardaschir I., ein Fürst aus dem Süden des Partherreiches, hatte sich erhoben und den letzten Partherkönig getötet, um sich selbst des Thrones zu bemächtigen. Das zweite persische Großreich (das erste war von Alexander dem Großen zerstört worden) entstand, welches auch Neupersisches Reich oder Sassanidenreich genannt werden sollte – letzteres aufgrund der Sassanidendynastie, aus der Ardaschdir I. stammte.

Das Sassanidenreich nutzte die Schwäche Roms. Die Feldzüge der Perser reichten bis ans Mittelmeer und nötigten die Römer zu schmachvollen Friedensverhandlungen. Ende des 3. und im 4. Jahrhundert kam es zu zahlreichen römisch-persischen Auseinandersetzungen, welche die römisch-parthischen beerbten. Erst unter Theodosius I. und Schapur III. einigte man sich auf einen Teilungsplan (387), mit dem beide Parteien zufrieden waren, und in den nächsten Jahrhunderten folgte eine Zeit des Friedens zwischen den Großreichen.

Im 6. und 7. Jahrhundert erreichten der Konflikt dann seinen historischen Höhepunkt.

Die nunmehr oströmisch-persischen Kriege sind die größten und blutigsten Auseinandersetzungen der Spätantike. Die zwei mächtigsten Reiche der damaligen Welt (sehen wir vom Reich der Mitte ab) rangen um die Vorherrschaft. Im Zuge der Kriege König Chosraus (531-579), einem der großen Sassanidenkönige, wurden prächtige Städte wie Antiochia erobert, geplündert und vernichtet, Zehntausende deportiert und versklavt. Der damalige Gegenspieler Justinian war durch seine Politik im Westen gebunden, und konnte erst später zu einer Gegenoffensive ausholen. Die Kriegsschauplätze zogen sich vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer und Persischen Golf. Die Byzantiner konnten sich durch Tributzahlungen absichern, und erst Justinians Nachfolger sich durch Überraschungsangriffe und neue Allianzen an den Persern rächen. Die einstige Erzfeindschaft war bereits eine Erbfeindschaft geworden.

Die entscheidende Phase bildeten die Kriege von 603 bis 629. Chosrau II. nutzte den Sturz und Mord an Kaiser Maurikios aus, um ins Oströmische Reich einzufallen. Die Byzantiner waren mit sich selbst beschäftigt, die Perser gelangten bis an die Mittelmeerküste, eroberten und plünderten Syrien, und drangen tief in das Herzland Ostroms in Kleinasien ein – 615 standen sie bei Chalkedon, auf der gegenüberliegenden Seite der Hauptstadt Konstantinopels. Ein Jahr zuvor hatte man Jerusalem eingenommen und die Kreuzesreliquie und andere christliche Heligtümer geraubt und nach Persien bringen lassen. 619 war Ägypten in persischer Hand, danach Nubien mit seinen Goldvorkommen, Truppen des Großkönigs marschierten bis nach Tripolis in Libyen. Das persische Großreich hatte eine Ausdehnung erfahren wie das antike Reich des Dareios oder Xerxes, kontrollierte nunmehr den Norden der arabischen Halbinsel, Oman, Jemen, Persien, Zentralasien, den Kaukasus und das östliche Mittelmeer.

Die Tage Ostroms hingegen schienen gezählt, sah es sich im Westen durch Barbaren, im Osten durch die Sassaniden bedrängt, die ihre wichtigsten und reichsten Provinzen in ihr Reich eingegliedert hatten. Der neue Kaiser Herakleios schaffte es jedoch, den Frieden im eigenen Reich wiederherzustellen. Unter Aufbietung aller Ressourcen konnte er in drei Feldzügen Kleinasien befreien und in den Kaukasus vordringen (622). Die Belagerung Konstantinopels durch Perser und verbündete Awaren (626) wurde vereitelt. Es zeigte sich, dass Chosrau sich in den Feldzügen übernommen hatte, und nicht fähig war, sein Gebiet zu halten. Aber auch die persönlichen Fähigkeiten Herakleios‘, der in kühnen Aktionen bis ins Heilige Land vorstieß, waren entscheidend.

Im Jahr 627 kam es zur Entscheidungsschlacht des großen oströmisch-sassanidischen Krieges. Herakleios überrumpelte die Sassaniden mit diesem weiten Vorstoß, sodass der Feind die Truppen nicht rechtzeitig sammeln konnte. Der Kaiser bedrohte nunmehr die Sommerresidenz Dastagird, nachdem er den Tigris überschritten hatte. Bei den Ruinen von Ninive besiegte er am 12. Dezember 627 durch ausgeklügelte Manöver die übermächtigen Perser, die ihn und sein Reich Jahre zuvor an den Abgrund gebracht, und daher mit keiner einer Bedrohung gerechnet hatten. Die Hälfte des persischen Heeres wurde vernichtet. Die Auswirkungen waren katastrophal.

Anfang 628 wurde Dastagird eingenommen. Chosrau II. verlor seine Unterstützung in den eigenen Reihen, und wurde umgebracht. Die Perser mussten alle Gebiete zurückgeben, die sie in den Jahren zuvor erobert hatten, Tributzahlungen leisten, und die geraubten Schätze Jerusalems zurückgeben. Rom hatte nach annähernd 650 Jahren (seit der verlustreichen Niederlage des Crassus bei Carrhae 53. v. Chr. gegen die Parther) der Rivalität mit dem Osten seinen Gegner in die Knie gezwungen und den finalen Schlag versetzt. Herakleios ging als einer der großen Kaiser in die Geschichte seines Reiches ein.

Die Schlacht von Ninive, der gewaltsame Tod Chosraus II. und der frühe Tod seines Nachfolgers sorgten im Sassanidenreich für Unruhe. Das Perserreich versank in Bürgerkrieg und Chaos. Herrscher wechselten schnell an der Spitze und wurden umgebracht. Das Neupersische Reich war ein Schatten seiner selbst, hatte nach dem glänzenden Zenit seiner Macht die Dekadenz übersprungen und erlebte seinen beginnenden Untergang.

Die jahrhundertelangen, kräftezehrenden Kriege der Großreiche hatten ihren Tribut gefordert. Byzanz hatte seine Territorien zurückgewonnen, war aber von den Kriegen, Besatzungen, Verwüstungen und Notmaßnahmen zur Aufbietung eines kaiserlichen Heeres gezeichnet. Herakleios hatte einen Sieg errungen, aber das Reich hatte einen schweren Schlag erlebt. Die mühsam zurückerlangten Früchte sollten ihm bald wieder genommen werden.

Nutznießer der blutigen Auseinandersetzungen, Hegemonialkriege und Wetteiferns waren die Araber. 636, 8 Jahre nach dem glänzenden Sieg bei Ninive, fügten sie dem oströmischen Heer am Jarmuk eine entscheidende Niederlage zu, und konnten danach ungestört nach Syrien, Judea, Ägypten und Nordafrika ziehen. Byzanz war nicht imstande, Widerstand zu organisieren, und musste sich auf seine Besitzungen auf dem Balkan und Kleinasien zurückziehen. Die Araber stießen daraufhin bis nach Spanien vor, bedrohten als Piraten das Mittelmeer. Die heilige Stadt Jerusalem, die Herakleios unter großen Mühen zurückgewonnen und mit altem Glanz ausgestattet hatte, ging für Byzanz auf ewig verloren, so, wie seine wichtigsten Orientprovinzen, aus denen es seine höchsten Einkünfte bezog. Aus dem spätrömischen Ostrom mit imperialen Ambitionen wurde das mittelalterliche Byzanz, dessen Charakter griechisch-christlich, denn römisch-lateinisch war: noch unter Herakleios wurde Griechisch als Amtssprache eingeführt, Latein abgeschafft. Staat und Gesellschaft änderte sich in den nächsten Jahrzehnten.

Die Sassaniden traf die Entwicklung härter. Das vom Bürgerkrieg und Aufruhr gezeichnete Reich wurde 642 von den Arabern bei Nehawend vernichtend geschlagen. Der Ansturm war nicht mehr aufzuhalten, obwohl sich die Perser verbissen wehrten. Der letzte König Yazdegerd III. wurde 651 ermordet. Das Reich ging unter.

Die Schlacht von Ninive markiert damit nicht nur den finalen Schlag und Sieg der (Ost-)Römer über den großen Erzfeind im Osten. Sie steht symbolisch für die große, jahrhundertelange Auseinandersetzung der beiden Großreiche der Spätantike, die sich gegenseitig aufrieben. Letztendlich schaffte es keines der Reiche, das andere zu vernichten (was auch nicht die Absicht der Kontrahenten war), doch gereichte ihre Schwäche Dritten zum Vorteil.

Es bleibt Ironie der Geschichte, dass beide von diesem Feind zuletzt niedergerungen wurden, ob nun von den muslimischen Arabern oder später muslimischen Osmanen. Ohne die blutigen Konfrontationen und der Aufreibung beider Mächte hätten die Araber ihre Halbinsel schwerlich verlassen können. Unfähig, ihre Gebiete zu verteidigen, wandelte sich der christlich-griechische Nahe Osten später zu einem muslimisch-arabischen Kulturraum. Persien wiederum verlor seine Bindung zum antiken-achamänidischen Perserreich und dessen Selbstverständnis. Die Zoroastrische Religion, welche dort weit verbreitet und einflussreich war, wurde von den Muslimen zurückgedrängt und bekämpft. Die sassanidische Hofkultur sollte im Gegenzug großen Einfluss auf die arabische Elite haben.

Die Schlacht von Ninive ist mit ihrer Vorgeschichte und Nachwirkungen ein Dreh- und Wendepunkt der Weltgeschichte. Nicht umsonst gilt sie als ein Endpunkt der Spätantike und Vorbereitung auf das Mittelalter, tritt aber heute mehr und mehr in den Hintergrund.

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