Das Symbol

30. November 2015
Kategorie: Die Euganeischen Anekdoten | Palatina

Im altrömischen Mustela – das in späterer Zeit Palatina hieß – zierte ein Marmorhermelin das damalige Forum. Gleich der Kapitolinischen Wölfin in der Tiberstadt, thronte es auf einer Säule und führte einen Dolch in der Pfote. Von der Säule blickte es auf die Tempel des Jupiter und des Saturn, den beiden Haupttempeln der Stadt, wo sich auch die Stadtobersten bei politischen Fragen berieten.

In der Zeit der Völkerwanderung ging das alte Mustela unter. Von der Kaiserstadt blieben nur noch Ruinen. Die Leute flüchteten sich auf die Insel im Fluss Rio und in die unzugänglicheren Gebiete des Flussdeltas. Der Schutt stapelte sich auf dem Hügel, dem Palatin. Das Hermelin ging verloren, doch die Erinnerung blieb wach.

Als das mittelalterliche Palatina zu neuer Blüte fand, organisierten die Bürger eine eigene Verwaltung. Ihre erste Versammlung fand im Tempel Neptuns statt, der deswegen die Stürme der Zeit überstand, weil die Christen ihn zu einer Kirche umbauten. Auf den Marmorplatten bemerkten die ersten Ratsleute der freien Stadt ein Mosaik: es war das Hermelin aus alter Zeit. Der Dolch in seiner Pfote fehlte, da der Zahn der Zeit daran genagt hatte.

Die Herren der Stadt ließen ein Siegel gießen, das dieses Hermelin in schreitendem Gang darstellte. Alle Urkunden aus Palatina trugen es. Die Palatiner prägten bald ihre Münzen aus Silber, denen sie denselben Aufdruck gaben.

Mit dem Hermelin auf den Bannern zogen sie in den Kampf gegen Kaiser Barbarossa; mit dem Hermelin auf den Schilden schifften sie sich zum 5. Kreuzzug ein; und die Standarte des Hermelins ging ihnen voran, als sie gegen ihre Nachbarn Krieg führten. Generation um Generation. Großväter übergaben das Zeichen an Väter, die an Söhne, die an Enkel.

Die Flaggen und ihre Fahnen änderten sich, Menschen starben und wurden geboren, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang wechselten sich ab. Das Hermelin aber blieb.

Dann folgte der Krieg mit dem Revolutionären Frankreich, das Palatina ganz vernichten wollte, weil es sich mit dem Papst und den Briten verschworen hatte. Als die ersten Dörfer der kleinen Hermelinrepublik fielen, war es der General Berthier, der den Feldzug leitete. An der Grenze bemerkte er einen Stein, in den die Palatiner das Hermelin eingemeißelt hatten.

Daraufhin ließ der Franzose die Kanonen holen. Die Artilleristen wunderten sich über den Befehl, doch der General ließ sich nicht beirren; er wolle alle Hermeline Palatinas zerstören. Münzen und Siegel wolle er einschmelzen, Wappen und Banner verbrennen und jede Skulptur zerschlagen, die sich ihm in den Weg stellte.

Die Kanoniere gaben sich überrascht, und wunderten sich, ob er verrückt geworden sei. Darauf nahm Berthier die Zündung selbst in die Hand, und ließ mit fünffachem Kanonenschlag das Hermelin in tausend Steine bersten. Als die Untergebenen sich wieder aus der Deckung wagten, schaute er zufrieden auf die Trümmer.

»Man kann einen Staat erst völlig vernichten, wenn man seine Symbole ausrottet. Nur, wenn ein Volk vergisst, was es zusammenhält, kann man es zermürben.«

Und so geschah es, dass die Feinde des Hermelins es da töteten, wo sie es ergreifen konnten, bis die Palatiner selbst vergaßen, wer sie waren und wo ihre Heimat lag.

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