Ich bekam schon eine Anfrage, warum ich das Thema bisher nicht behandelt habe, obwohl es sich doch so anbietet. Gerade für einen Regionalisten wie mich. Wo ich ja zudem auch noch einen bekennenden katalanischen Separatisten im Bekanntenkreis habe.
Ganz offen gesagt: ich beobachte Katalonien, aber im Gegensatz zu Schottland oder Venetien verbleibe ich hier immer sehr abwartend. Hauptgrund ist die Wahl am vergangenen Wochenende, die jeder so auslegen kann, wie er will: Mehrzahl der Stimmen gegen die Unabhängigkeit, Mehrzahl der Sitze für pro-separatistische Parteien. Die Stimmung ist schwierig zu fassen.
Das hängt auch mit einer persönlichen Erfahrung zusammen, die mich als Regionalisten immer wieder irritiert. Mir scheint oft, dass Katalanen „anders ticken“ als Schotten, Lombarden/Veneter oder auch Flamen; letztere kommen der Mentalität wohl am nächsten. Natürlich verabscheut jeder Regionalist den Zentralstaat aus Prinzip. Mir aber – und das ist nun eine ganz persönliche Meinung, bar jedweder Fakten und Wissenschaftlichkeit – scheint, dass den Katalanen eine Art irrationaler Gefühlswallung zugrundeliegt, die nur die extremsten Regionalisten der anderen Länder aufweisen.
Nun sind irrationale Gefühlswallungen im Unabhängigkeitsstreben per se nichts Besonderes. Jedem Nationalismus liegt Romantik zugrunde. Jedem. Wer behauptet, die spanische Nation (oder eine andere) sei besser als die katalanische, romantisiert doch selbst.
Heimatliebe ist wie jede Liebe irrational. Das macht sie ja gerade aus.
Die Katalanen haben mit der Franco-Diktatur eine Erfahrung gemacht, welchen den anderen Regionalisten in dieser Weise fehlt. Hier kommen wir zurück zu den Flamen, die als einzige eine ähnliche Bevormundung durchgemacht haben, doch Francos Diktatur war weitaus extremer als die Wallonisierung und reichte bis hin zu offener Gewalt. Die Schotten haben solche Erfahrungen in jüngerer Zeit nicht (mehr) gemacht. Und Venetisch war ebenfalls nie verboten, sondern wie alle anderen „Dialekte“ nur verpönt.
In Francos Spanien gab es dagegen Haftstrafen oder Disziplinarmaßnahmen, wenn das Katalanische erklang.
Für den Katalanen ist damit der Unabhängigkeitskampf nicht nur eine Sache aus Liebe, sondern auch aus Hass. Und alle unsere heftigsten Verlangen resultieren aus Liebe und Hass. Beides zusammen ergibt eine explosive Mischung. Im wahrsten Sine des Wortes, wenn man auf die Basken und die Vergangenheit ihrer Bestrebungen schaut.
Der spanische Zentralstaat ist nun einmal nicht das UK. Die Briten sind gewohnheitsmäßig am Fairplay interessiert, selbst, wenn Albion auch Perfidie walten lässt. Man veranstaltet ein Referendum und unternimmt Manöver, um dieses zu beeinflussen. Spanien dagegen würde wohl ein Referendum prinzipiell nicht anerkennen.
Das macht die Lage umso verzwickter, und erklärt auch die Tatsache, weshalb nun sogar vom Aufruf zum zivilen Ungehorsam gesprochen wird. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt eben nur für Völker mit Armee und Marine (das haben schon ganz andere schmerzlich erfahren müssen).
Erschwerend, wenn nicht entscheidend, kommt die Wirtschaftslage Spaniens dazu. Paradoxerweise hat die Krise in Italien ein neuerliches Bewusstsein für die Nation geweckt, da man sich von außen – durch die EU, durch Deutschlands unterschwellige Hegemonie, durch Ratingagenturen, ISIS, ja sogar die USA – bedroht sieht. Die Lega Nord, einst eine sezessionistische Partei, die Padanien vom Rest Italiens lösen wollte, transformiert sich zur Lega Italica unter dem neuen Parteichef Salvini, der die Rezepte von Le Pen nachzuahmen versucht – mit dem langfristigen Ziel eines unabhängigen, aber föderalisierten Italiens und Autonomie für den Norden. Das alles sei aber eben nur erreichbar, wenn es ganz Italien gut gehe (soweit auch zum angeblichen Rassismus gegen den Süden).
Ganz anders in Spanien. Die Wirtschaftskrise hat dort zentrifugale Kräfte entfacht. Katalonien ist einerseits Wirtschaftsmotor, andererseits verschuldet; einerseits zahlt Katalonien am meisten in den Topf und bekommt am wenigsten zurück, andererseits muss es mit Überbrückungskrediten durchgefüttert werden; ein Fünftel der Wirtschaftsleistung Gesamtspaniens hängt an Katalonien, aber auch von den Kastiliern ist oft das Lamento zu vernehmen, dass die Katalanen mit ihren Sonderwünschen ihnen langsam mächtig auf den Zeiger gingen.
Amüsant ist auch hier die Propaganda in Hispanien wie in Germanien. Da hört man oft vom Vabanquespiel der Sezessionisten, denn Katalonien sei ja von Madrid abhängig und würde dann ins Bodenlose fallen. Man fragt sich dann aber doch wieder, warum – wenn Katalonien es wirklich so nötig hat – Madrid die Katalanen nicht endlich ziehen lässt, um sich dieser lästigen Parasiten zu entledigen?
Insofern kann ich auch an dieser Stelle kaum ein Fazit ziehen. Die Situation ist unübersichtlich und besteht aus einem komplexen Zusammenspiel so vieler unterschiedlicher Kräfte und Interessen, das erst die Entwicklung der kommenden Wochen zeigen wird, was aus Katalonien – und damit aus Spanien und der EU wird. Katalonien ist eben nicht Schottland, auf das England weit besser verzichten könnte, sondern in etwa so, als verlöre Deutschland morgen Baden-Württemberg und Bayern gleichzeitig.
Ohne Katalonien würde Spanien selbst infrage gestellt, und der Ausschluss der Katalanen aus der EU und die Folgen dessen werden noch alle auf Jahre beschäftigen, sollte es so weit kommen… vom Dominoeffekt und den bereits jetzt offenbar gewordenen Zersetzungserscheinungen der Brüsseler Autokratie ganz zu schweigen.